Genau nach Maß

Genau nach Maß

Meter, Kilogramm, Liter. Kennt jeder. In unserem Alltag brauchen wir diese Einheiten ständig. Unterwegs wollen wir etwa wissen, wie lang ein Weg noch ist. Im Supermarkt schauen wir nach, wie viel 100 Gramm Käse oder ein halbes Kilogramm Brot kosten. Und beim Kochen messen wir genau ab, wie viel Wasser, Milch oder Sahne in den Topf gehört.

Die Einheiten, die wir zum Zählen und Messen benutzen, gelten fast überall. Sie sind Teil eines Systems, das wir benutzen: das metrische Einheitssystem. Doch so schön einheitlich waren die Einheiten nicht immer.

Vor Jahrhunderten gab es noch viele unterschiedliche Einheiten. Die Leute benutzten etwa Armlängen oder Fußgrößen zum Messen – und die waren überall unterschiedlich groß. „In Europa hatte jeder Herrscher die Größen für sein Gebiet anders geregelt“, erklärt der Fachmann Jens Simon. „Mal war der Abstand von der Nasenspitze zum ausgestreckten Daumen entscheidend, mal die Länge eines Fußes.“ So rechneten die einen Händler mit der Braunschweiger Elle, die einen guten halben Meter lang war. Andere benutzten die Münchener Elle, die gut 20 Zentimeter länger war. Rechenfehler und Missverständnisse waren da vorprogrammiert.

Nachvollziehbar und allgemein gültig

In Frankreich kam vor über 200 Jahren die Idee auf, ein einheitliches System der Maße zu entwickeln, das für alle Menschen gilt. Diese Größen mussten nachvollziehbar und allgemein gültig sein, damit sie auch jeder benutzen konnte. „Deshalb mussten sich die Maßeinheiten auf Dinge in der Natur beziehen, etwa auf unseren Planeten Erde“, erklärt Jens Simon.

Es wurde also der Meter für Längen, das Kilogramm für Gewichte und der Liter für das Volumen gewählt. Der Meter wurde dabei als ein Zehnmillionstel der Strecke vom Nordpol zum Äquator festgelegt. Ein Kilogramm entsprach dem Gewicht an Wasser, das in einen Würfel mit einer Kantenlänge von einem Zehntel-Meter passt.

Nach und nach einigte man sich für jede Größe aus der Natur auf eine passende Einheit. Diese Einheiten wurden mit der Zeit immer genauer gemessen und untereinander abgestimmt. Dazu trafen sich immer wieder Abgesandte aus verschiedenen Ländern. Sie brachten ihre nationalen Gewichte und Längenmaße mit, um so ihre festgelegten Einheiten zu überprüfen. Das geschieht auch heute noch. „Alle paar Jahre wird eine Konferenz einberufen, auf der Vertreter vieler Länder mögliche Verbesserungen besprechen und Neuerungen festlegen“, erklärt der Experte.

Ganz genau

Und diese Leute nehmen es ganz genau. Das ist auch wichtig. Für ganz genaue Messungen hat man sich viele Jahre nach einem bestimmten Kilogramm gerichtet. Das war ein kleiner Zylinder aus Metall, der sicher in einem Tresor aufbewahrt wurde. Doch dieses so genannte Urkilo verlor mit den Jahren ein winzig kleines bisschen Gewicht.

Also suchten Physikerinnen und Physiker nach einem neuen Urkilo. Forschende stellten schließlich einen Kristall aus dem chemischen Element Silizium her. In diesem Kristall sind die kleinsten Bestandteile, die Atome, alle im selben Abstand zueinander angeordnet. Dadurch war es möglich, einen Gegenstand herzustellen, in dem man die Atome zählen kann: ein neues Urkilo aus Silizium. Statt eines einzigartigen Urkilos hat man damit ein Rezept, wie man das perfekte Kilogramm herstellen kann.

Alles dezimal

Ein weiterer Vorteil des metrischen Systems: Es lässt sich gut mit ihm rechnen. Denn die meisten Einheiten können immer mit 10, 100 oder 1000 geteilt oder malgenommen werden. So sind 1000 Meter ein Kilometer und ein Tausendstel Meter sind ein Millimeter. 1000 Kilogramm sind eine Tonne und ein Tausendstel Kilogramm sind ein Gramm.

„Man hatte sogar einmal versucht, die Woche in zehn Tage zu unterteilen und den Tag in zehn Stunden zu je 100 Minuten“, ergänzt Jens Simon. Diesen merkwürdigen Kalender gab es aber nur ein paar Jahre lang. Die Woche hatte schließlich neun Arbeitstage und nicht bloß sechs. Dadurch war die Zeitrechnung mit Zehnerstellen nicht gerade beliebt bei den Leuten. Doch dass die meisten Leute auf der Welt überhaupt mit den gleichen Einheiten rechnen, macht die Arbeit und den Handel miteinander sehr viel leichter.

Andere Länder, anderes Messen

Heutzutage messen die Leute fast überall auf der Welt mit denselben Einheiten. In Ländern wie Großbritannien, USA, Liberia oder Myanmar kommt es aber manchmal zu Verwechslungen. Denn dort wird neben dem metrischen System im Alltag auch das imperiale System benutzt.

Dort gibt es Längeneinheiten wie Zoll, Fuß, Schritt und Meilen. Ein Zoll oder auch Inch ist 2,5 cm lang, ein Fuß sind 30 Zentimeter, ein Schritt oder Yard ein knapper Meter. Gewichte und Volumen werden manchmal in Unzen, Pfund, Pints und Gallonen gemessen.

Diese vermixte Messerei hat schon für mächtig Ärger gesorgt. Vor gut 20 Jahren ist in der Umlaufbahn des Mars schon einmal eine Weltraum-Sonde verglüht. Die Forschenden suchten verbissen nach dem Fehler. Am Ende stellte sich heraus: Die einen Kollegen hatten in Metern und Kilogramm gerechnet, die anderen in Fuß und Pfund.

Text und Bild: Philipp Brandstädter,
zunächst erschienen über dpa Nachrichten für Kinder, Juli 2020

Quellen:

PBT Braunschweig

Metrisches System

Umrechnung der Messsysteme

Angelsächsische Maße

Das metrische System

Das metrische System

erschienen in der taz, die Tageszeitung, am 5. September 2021

Dass Maßeinheiten einfach sind, verdanken wir den Vordenkern der Französischen Re­vo­lu­ti­on:­ Sie machten aus Ellen und Füßen endlich Meter.

In „Pulp Fiction“, dem Kultfilm von Quentin Tarantino von 1994, unterhalten sich zwei Gangster über die Europäer:

„Weißt du, was das Abgefahrenste an Europa ist? Das sind die kleinen Unterschiede … Weißt du, wie die einen Quarterpounder mit Käse in Paris nennen?“

„Die nennen ihn nicht einen Quarterpounder mit Käse?“

„Nein, Mann, die haben das metrische System. Die wissen gar nicht, was ein Quarterpounder ist.“

„Wie nennen die ihn?“

„Die nennen ihn Royale mit Käse.“

Der Dialog ist legendär. Er fängt sehr gut das amerikanische Unverständnis für europäische Maßeinheiten ein. Europäer wiederum halten Amerikaner für verrückt, wenn sie mit deren Gewichten, Längen oder Geschwindigkeiten beim Filmegucken nicht zurande kommen. Oder beim Bestellen im Restaurant. Oder beim Shoppen im Klamottenladen. Oder beim Ausfüllen von Formularen mit den persönlichsten Angaben.

Inches, Feet, Yards und Meilen – ein einziger Wirrwarr. Verwechslungen mit dem metrischen und dem angelsächsischen oder auch imperialen Einheitssystem haben sogar schon für größeren Ärger gesorgt als ein zu kleines Steak auf dem Teller oder eine zu enge Jeans auf den Hüften. Es hat deswegen schon Notlandungen und Unfälle im Weltraum gegeben, nur weil irgendjemand zu stur auf seinen Gewohnheiten beharrte. Aber der Reihe nach.

Auch hierzulande war das Messen einst bekloppt. Von der Antike bis ins späte 19. Jahrhundert mussten sich die Leute nach den Körpermaßen ihrer aktuellen Herrscher richten. Mal war der Abstand von der Nasenspitze zum ausgestreckten Daumen entscheidend, mal die Länge eines Fußes – und das zum Teil von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Manche Händler rechneten mit der Braunschweiger Elle, die einen guten halben Meter maß. Andere benutzten die Münchener Elle, die locker zwanzig Zentimeter länger war. Rechenfehler und Missverständnisse beim Handel waren da vorprogrammiert.

Diese unverhältnismäßige Abhängigkeit vom Größenwahn der Regierenden mit ihren auf sich bezogenen Ellen und Füßen und Spannen ging den Vordenkern der Französischen Revolution gehörig gegen den Strich. Und so führte der Nationalkonvent 1795 das metrische System ein, das sich fortan auf der ganzen Welt durchsetzen sollte. Die ursprüngliche Idee: einheitliche Größen, die allgemein gültig und für alle nachvollziehbar sind, weil sie sich auf Phänomene unserer aller Mutter Erde beziehen. Dafür hatten sich zwei renommierte Astronomen auf die Socken gemacht, um mal eben die Welt zu vermessen.

Die beiden mussten nun nicht gleich den gesamten Planeten ablaufen. Ein popeliger Längengrad reichte schon aus. Und so nahmen sich Jean-Baptiste Delambre und Pierre Méchain den Meridianbogen zwischen Dünkirchen und Barcelona vor, um daraus den Erdumfang zu berechnen. Der eine lief nach Norden, der andere nach Süden, beide mit einem Sack wissenschaftlicher Präzisionsinstrumente im Gepäck, um sich eine Methode zunutze zu machen, die bis heute in der Landvermessung bekannt ist: die Triangulation.

Die Forscher kletterten Kirchtürme und Berge hinauf, um von oben auszumessen, in welchem Winkel andere Kirchtürme und Berge zu sehen waren. Dank altbekannter Geometrie ergab sich dabei eine Sammlung hilfreicher imaginärer Dreiecke, mit denen sich die Gesamtstrecke zwischen Anfang und Ende des Längengrads hochrechnen ließen. Von misstrauischen Bauern gejagt oder flachgelegt von Hunger und Krankheiten zog sich die Vermessung in den Kriegswirren der Revolution zwar ein bisschen hin. Doch nach sieben Jahren hatten Delambre und Méchain die Bezugsgröße unseres metrischen Systems gefunden: den zehnmillionsten Teil der Strecke vom Nordpol zum Äquator – der Meter.

Der Meter wurde aus Platin zu einem Ur-Meter gegossen. Von ihm wurden weitere Einheiten für Gewichte und Volumen abgeleitet. Ein Kilogramm entsprach dem Gewicht an Wasser, das in einen Würfel mit einer Kantenlänge von einem Zehntelmeter passt. Kleinere und größere Einheiten wurden in Zehnerschritten anstatt wie zuvor in albernen Dutzenden gerechnet. Warum uns das Rechnen in Dezimalstellen viel einfacher erscheint, lässt sich an zwei Händen abzählen.

Die Dezimalrevoluzzer gingen sogar so weit, dass sie konsequenterweise auch die Zeitrechnung den Zehnern unterwerfen wollten. Im republikanischen Kalender gab es zehn Wochentage, die jeweils in zehn Stunden mit je 100 Minuten à 100 Sekunden eingeteilt waren. Die neue Sekunde war dadurch etwas kürzer als die alte, die neue Minute länger als die alte und die Revolutionsstunde mehr als doppelt so lang.

Doch irgendwie wollte sich die Idee nicht durchsetzen. Die Bevölkerung kam auf den Trichter, dass sie nun an neun Tagen in der Woche arbeiten musste. Also wurde der republikanische Kalender ein paar Jahre nach seiner Einführung wieder abgeschafft.

Trotzdem war das metrische System modern und in sich stimmig und trieb somit die Revolution voran. Nach und nach übernahmen die Länder auf der ganzen Welt die Zählweise. Auch wenn sich später herausstellte, dass Delambre und Méchain bei ihrer Definition des Meters daneben lagen. Sie hatten sich um 0,2 Millimeter vermessen. Die Dicke von zwei Blatt Papier.

Der Fehler blieb auch in der Rechnung, als der Meter nicht mehr von einem Metallstab, sondern durch die Lichtgeschwindigkeit festgelegt wurde. Eine Korrektur war nicht nötig, denn schließlich ging es ja um die einheitliche Einheit selbst – und nicht um das, was sie ursprünglich bezeichnet. Heute ist ein Meter die Strecke, die das Licht in einer 1/299.792.458 Sekunde zurücklegt.

„We approach the metric system inch by inch.“

Auch für andere gängige Größen, die wir brauchen, um die Phänomene auf der Welt zu beschreiben, wurden mit der Zeit exakte Werte gefunden. Seit gut zwei Jahren richten sich alle sieben wesentlichen Einheiten nach Naturkonstanten: der Meter, das Kilogramm, die Sekunde. Kelvin für die Temperatur, Ampere für die Stromstärke, Candela für die Lichtstärke und Mol für die Stoffmenge.

Wissenschaftlich gesehen und halbwegs offiziell zählt die gesamte Menschheit metrisch. Auch wenn es manchmal heißt, dass die stolzen USA sich dessen verweigern würden, zusammen mit Myanmar und Liberia. Dort wird in Studien metrisch gerechnet; nur im alltäglichen Gebrauch kommt es hin und wieder zu Verwirrungen – und manchmal eben auch im Alltag der Wissenschaft.

Und so musste 1983 eine kanadische Boeing mit kaputter Treibstoffanzeige notlanden, weil ihr Tank in Gallonen gemessen, jedoch in Litern gefüllt wurde. Mitten im Flug ging dem Jet der Sprit aus, er verwandelte sich in ein überdimensionales Segelflugzeug. Wie durch ein Wunder gelang den Piloten die Landung.

Im Spätsommer 1999 verloren Forschende der Nasa den Kontakt zu einem ihrer Satelliten. Der Climate Orbiter sollte nach seiner neunmonatigen Reise den Mars umfliegen und untersuchen. Doch kaum war die Sonde in die Umlaufbahn des Roten Planeten eingeschwenkt, verglühte sie. Die Kontrollzentren in Denver und Pasadena hatten die Schubkraft des Orbiters in unterschiedlichen Maßeinheiten gerechnet. Die einen in Metern und Kilogramm, die anderen in Feet und Pounds. Das Ergebnis: eine Fehlkalkulation von 40 Kilometern und 125 Millionen verbrannte Dollar.

Aber das stoffelige imperiale System mit seinen Einheiten gibt den Amerikanern wenigstens noch, nun ja, ein Mikrogramm Charme. Gangsterfilme haben Popgeschichte geschrieben, weil wir uns so gern über Pfund, Fuß, Meilen, Pint, Gallonen und Yards lustig machen. Überlassen wir es den angelsächsisch Rechnenden, wann sie ihre ulkige Zählweise endgültig aufgeben. Oder wie es der Amerikaner sagt: „We approach the metric system inch by inch.“

Text und Bild: Philipp Brandstädter