Nanotechnik: Handwerk der Zwerge

Nanotechnik: Handwerk der Zwerge

Ein Käfer schillert im Sonnenlicht in allen Farben. Wassertropfen perlen spurlos von einem Blatt ab, ohne dass dieses nass wird. Und ein Gecko läuft ohne Schwierigkeiten senkrecht an der Wand entlang. Immer wieder versetzt uns die Natur in Staunen.

Manchmal könnte man meinen, die Natur kann zaubern. Doch so ist das mit der Zauberei: Sie verblüfft uns nur, weil wir das Warum dahinter nicht verstehen. Zum Beispiel, weil unsere Sinne getäuscht werden. Oder auch, weil die scheinbar magischen Kräfte, die da wirken, so winzig klein sind, dass wir sie nicht erkennen.

Ungewöhnliche Eigenschaften

Hinter jenen Gesetzen der Natur, die der Mensch schon lange kennt, gibt es aber noch einige mehr. Wissenschaftler decken sie Stück für Stück auf. Einige Gesetze kennen wir noch nicht so lange, weil wir sie nicht mit bloßem Auge sehen konnten. Oft sind es die allerkleinsten Strukturen von Stoffen, die ungewöhnliche Eigenschaften haben. Mit ihnen beschäftigt sich die so genannte Nanotechnologie.

Nanos ist ein griechisches Wort und bedeutet Zwerg. Nanotechnologie heißt übersetzt so viel wie: die Lehre vom Handwerk der Zwerge. Etwas, das einen Nanometer klein ist, kann man nur mit besonderen Instrumenten sehen. Denn ein Nanometer passt eine Million Mal in einen Millimeter hinein. Also in den Abstand zwischen den kleinen Strichen auf einem Lineal. Kaum vorstellbar!

„Nanoteilchen haben im Verhältnis zu ihrer Größe eine riesige Oberfläche“, erklärt der Experte Gerd Bachmann. Diese große Oberfläche wirkt auf ihre ganz eigene Art und Weise mit ihrer Umwelt zusammen. Sie reagiert etwa anders auf Temperatur, Strom oder Licht. „Dadurch können sich die Eigenschaften von Nanoteilchen deutlich von größeren Teilchen desselben Stoffes unterscheiden.“

Stoffe besser machen

Die Aufgabe der Nanotechniker ist es, sich mit altbekannten Stoffen zu beschäftigen. Nur in einem sehr viel kleineren Bereich. Auf diese Weise haben sie schon Kunststoffe leichter, Farben leuchtender und Möbel kratzfester gemacht. Nanoteilchen machen möglich, dass Waschbecken, Wannen und Klos länger sauber bleiben. Dass Badehosen schneller trocknen. Dass Gewürzsalz nicht klumpt und besser rieselt. Dass Sonnencremes besser unsere Haut schützen. Und dass Socken nicht so schnell miefen.

„Besonders Erfindungen aus der Elektrotechnik werden durch Nanoteilchen wirkungsvoller“, sagt der Experte. Batterien speichern länger Strom, Elektromotoren haben mehr Kraft. Aber Vorsicht: Hinter Nanoteilchen steckt kein Wundermittel, das immer alle Dinge besser macht. Hinter der Technologie stecken auch Gefahren, warnen Fachleute.

„Wenn wir einen uns bekannten Stoff im Nanobereich verändern, dann erhalten wir sozusagen einen Stoff, der uns unbekannt ist“, sagt Gerd Bachmann. „Wir müssen dann neu untersuchen: Welche Eigenschaften hat der Stoff durch die Nanoteilchen bekommen?“ Aus diesem Grund sind viele Forscher sehr vorsichtig mit Produkten, in denen Nanotechnologie steckt. Deren Wirkungen sollen genauer und dauerhafter beobachtet werden, damit sie uns auch keinen Schaden zufügen können.

Streng geprüft

Wenn Hersteller ein neues Produkt erfinden, dann wird es zunächst streng geprüft. Neue Lebensmittel, Cremes oder Baustoffe sollen schließlich unsere Gesundheit nicht gefährden. Fachleute versuchen darum abzuschätzen, ob irgendwelche Stoffe in Produkten giftig für uns oder unsere Umwelt sein könnten.

Das gilt insbesondere für Produkte, in denen Nanotechnologie steckt. Denn Stoffe, die eigentlich unbedenklich sind, könnten durch die winzigen Teilchen veränderte Eigenschaften haben. Nanoteilchen sollen darum nicht einfach so in unsere Körper eindringen.

Trotzdem gibt es viele Unternehmen, die an Produkten mit Nanotechnologie tüfteln. Und zwar auch in der Medizin. Manche Wissenschaftler wollen mit dieser Technologie Medikamente verbessern oder sogar unheilbare Krankheiten besiegen.

Text und Bild: Philipp Brandstädter,
zunächst erschienen über dpa Nachrichten für Kinder, Juli 2016

Quellen:

Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit

Nanotechnik: Handwerk der Zwerge

Der optimierte Mensch


erschienen in der taz, die Tageszeitung, am 19. Mai 2013

Nanoteilchen lassen die Wüste erblühen und Gewürzsalz besser rieseln. Machen sie uns womöglich auch bald unkaputtbar?

Warum kann der Gecko an der Wand laufen? Wieso leuchten Muschelschalen in verschiedenen Farben? Weshalb perlen Wassertropfen spurlos an den Blättern der Lotospflanze ab? Bereits in den achtziger Jahren haben Physiker mit High-Tech-Mikroskopen solche Naturphänomene erforscht. Die Antwort liegt im Nanobereich.

Nanoteilchen haben im Verhältnis zu ihrem Volumen eine riesige Oberfläche. Je größer die Oberfläche, desto reaktiver ist ein Material. So sind es vor allem die winzigen Partikel, die Entscheidendes bewirken und beispielsweise in der Grundsubstanz Siliziumdioxid den feinen Unterschied zwischen einem kostbaren Opal-Edelstein und einer wertlosen Glasflasche ausmachen.

Seit Jahren tüfteln Nanotechniker auf atomarer Ebene an einer neuen Generation von Materialien, Systemen und Geräten. Nanotechnologie, die „Lehre vom Handwerk der Zwerge“, macht schon heute Brennstoffzellen, Photovoltaikmodule und Elektromotoren wirkungsvoller als vor wenigen Jahren.

Nanostrukturen machen Kunststoffe gleichzeitig leichter und stabiler, Nanofilter reinigen Gewässer, und Biologen versuchen durch Nanotechnik, die Abläufe der Photosynthese zu imitieren und in Wüstengebieten Biomasse zu produzieren, damit dort mehr wächst. Der Nano-Pionier Craig Venter hat angeblich sogar bereits Bakterien künstlich hergestellt.

Supermenschen mit Supersinnesorganen

In der Medizin will man durch Nanoerkenntnisse neben Miniaturmotoren auch lebendes Gewebe bauen. Der Mensch soll noch gesünder, noch schneller, noch besser werden, genau wie es Greg Bear in seinem Science-Fiction-Roman „Blood Music“ beschreibt. Darin jagen winzige Nanoroboter eigenständig durch menschliche Blutbahnen, reparieren Zellen, stärken Knochen und Organe, schaffen Supermenschen mit Supersinnesorganen und Superimmunsystemen.

Die Neuauflage der Schöpfungsgeschichte, von der die Wissenschaft seit Langem träumt, rückt in greifbare Nähe. Und obwohl niemand prophezeien kann, wo dieser Traum hinführen soll, hat uns die Industrie längst mit Nanoprodukten überschwemmt.

Nanopartikel von Titanoxid reflektieren in der Sonnencreme das UV-Licht. Nanopartikel lassen Ketchup schneller fließen, Gewürzsalz besser rieseln, Fensterglas wird nicht mehr schmutzig und Lack nicht mehr zerkratzt. Beinahe unbemerkt hat sich die Nanotechnik in die Verkaufsregale geschlichen. Sie ist so selbstverständlich geworden, dass die Industrie kaum noch Werbeworte darüber verliert. Die Evolution zur Unsterblichkeit läuten diese Produkte jedoch bestimmt nicht ein – denn was den menschlichen Körper betrifft, ist man hierzulande in der Forschung und auf dem Markt eher vorsichtig.

„In Südkorea löffeln die Schulkinder Nanoplatinjoghurt, damit sie besser lernen und schneller Matheaufgaben lösen“, sagt Jurek Vengels vom Verbraucherschutz des BUND. Um die 600 abenteuerliche Lebensmittel listet das Woodrow-Wilson-Center weltweit unter dem Begriff „Functional Food“. In Deutschland sind nur ein paar Nanovitaminpillen auf dem Markt, zu wenig bekannt sind die Risiken und Nebenwirkungen.

„Was, wenn das Zeug schädlich ist?“

„Nanopartikel sind so klein, dass sie durch die Zellwände schlüpfen. Sie können sich dort anreichern, Moleküle spalten“, erklärt Vengels. „Bekannte chemische Stoffe nehmen im Nanobereich plötzlich neue Eigenschaften an. Wir hoffen natürlich, dass Nanotechnik unser Leben bereichert. Aber was, wenn das Zeug schädlich ist?“

Aufgrund der Skepsis der Regierung, deren Kommissionen das Risiko von Nanoprodukten bewerten, hält sich der Nanoboom noch in Grenzen. Die nasse Nanobadehose trocknet zwar schneller, nanolackierte Kleinwagen schillern an der Ampel wie lila-grüne Schmeißfliegen auf einem Hundehaufen – aber die praktische Pille für immerwährende Gesundheit und Jugend lässt mal wieder auf sich warten.

„Der Fortschritt ist eine Schnecke“, sagt Armin Grunwald, Professor für Technikethik am Karlsruher Institut für Technologie. Zwar sei die deutsche Grundlagenforschung führend, da aus den Ministerien viel Geld fließe. Trotzdem dauere es seine zehn bis zwanzig Jahre, bis die Ergebnisse schließlich auf dem Markt landen. Denn Technik muss immer erst verkauft werden, bevor sie sich weiterentwickeln kann.

Künftige Lebenserwartung: 120 Jahre

„Die Fortschritte können spektakulär sein, aber sicherlich nicht so fantastisch, wie sich manche erhoffen“, prognostiziert Armin Grunwald. „Nanoroboter in unserem Körper wird es zum Beispiel keine geben. Die naturwissenschaftlichen Argumente wie die Energieversorgung sprechen dagegen. Trotzdem wird es in den nächsten Jahrzehnten medizinische Entdeckungen geben, die unsere Lebenserwartung auf hundertzwanzig Jahre verlängern“, so der Technikphilosoph.

Mediziner haben bereits Nanokristalle entwickelt, mit denen Herz-Kreislauf-Erkrankungen schon in der Frühphase erkannt werden. Nanopartikel befördern Medikamente schneller dorthin, wo sie im Organismus wirken sollen.

An der Universität Marburg züchtet eine Arbeitsgruppe Nanofasern für ein besseres Knochenwachstum. An der Charité in Berlin wird an Nanoteilchen geforscht, die Tumorzellen töten. Durch die Verschmelzung von Bio- und Nanotechnologie soll es einmal möglich werden, Krebs, Alzheimer und Diabetes auszurotten, biologische Krankheiten zu bekämpfen, den Menschen nahezu unkaputtbar zu machen.

Dabei ein kleines bisschen Vorsicht walten zu lassen, ist vielleicht kein dummer Gedanke. Das findet auch Greg Bear, der Science-Fiction-Autor. Die supergesunden Supermenschen in seinem Nano-Roman verwandeln sich nämlich am Ende in rosafarbenen Brei.

Texte und Bild: Philipp Brandstädter