Unser Gleichgewichtssinn verrät uns, ob wir stehen, sitzen oder liegen – und ob wir uns bewegen. Mehrere Organe spielen für diese wichtige Aufgabe zusammen. Wenn das mal nicht funktioniert, ist unser Gehirn irritiert. Das kann man auch mit Absicht hervorrufen.
„Ach, das dumme Gleichgewicht. Wenn man’s braucht, dann hat man’s nicht.“ So heißt es in einer alten Kindergeschichte. Zum Glück funktioniert unser Gleichgewichtssinn meistens einwandfrei. Wir wissen aber auch sehr gut, wie es sich anfühlt, wenn der Sinn mal nicht so richtig macht, was er soll. Wenn uns schwindelig ist, zum Beispiel. Doch woran liegt das?
Dazu müssen wir zunächst verstehen, was unser Gleichgewichtssinn ist. Die Ärztin Katharina Stölzel kann das erklären: „Das Gleichgewichtssinn informiert uns, wenn unser Körper in eine bestimmte Richtung beschleunigt wird. Dabei spielen neben dem Gehirn und den Augen vor allem unsere Ohren eine wichtige Rolle.“
Schläuche im Ohr
In unseren Ohren, ganz in der Nähe des Gehörs, befinden sich hauchdünne Schläuche. Diese Schläuche sind mit Flüssigkeit gefüllt und besitzen lauter Sinneszellen an den Wänden. Die Zellen haben feine Härchen, die in die Flüssigkeit ragen. Bewegen wir unseren Kopf, bewegt sich auch die Flüssigkeit in den Schläuchen – und die wiederum verbiegt die Härchen. Die Sinneszellen nehmen auf diese Weise Bewegungen wahr und leiten die Signale an das Gehirn weiter.
Zum Gleichgewichtssinn gehören außerdem Sinneszellen am ganzen Körper. Auch sie melden dem Gehirn, ob wir stehen, liegen oder sitzen, wo oben und wo unten ist. „Unser Gefühl für das Gleichgewicht entsteht also durch das Zusammenspiel mehrerer Organe und Sinneszellen“, erklärt die Ärztin.
Unser Gleichgewichtssinn macht niemals Pause. Er sendet ständig Signale ans Gehirn, damit wir wissen, wie wir uns gerade in unserer Umgebung bewegen. Nur so können wir überhaupt laufen, balancieren, schwimmen und Fahrrad fahren.
Reisekrank
Manchmal jedoch wird unser Gleichgewicht verwirrt. Das geschieht, wenn die Sinnesorgane widersprüchliche Informationen an das Gehirn senden. Zum Beispiel, wenn unser Körper sich nicht bewegt, die Augen aber viel Bewegung um sich herum wahrnehmen. Das passiert etwa im Auto oder auf einem Schiff. Manche Leute werden dann reise- oder seekrank. Ihnen wird schwindelig und übel.
Wir können aber auch Spaß daran haben, unseren Gleichgewichtssinn zu täuschen. Zum Beispiel, wenn wir Karussell fahren oder uns ganz schnell im Kreis drehen. Wenn wir danach plötzlich stehenbleiben, passiert folgendes: Die Flüssigkeit im Innenohr, die wir beim Drehen in Bewegung gesetzt haben, dreht sich nach dem Stoppen noch etwas weiter. Etwa so, wie sich das Wasser in einem Glas noch weiter bewegt, wenn man darin herumrührt.
Unser Gleichgewichtsorgan im Ohr meldet dann dem Gehirn, dass wir uns immer noch drehen. Die Augen melden jedoch etwas anderes. Sie sagen, dass wir uns nicht mehr bewegen und still stehen. Das verwirrt unser Gehirn. Der Boden scheint dann zu schwanken. Wir haben einen Drehwurm. Der geht nach kurzer Zeit aber wieder vorüber.
Drei Gänge
In unserem Innenohr befinden sich empfindliche kleine Messgeräte. Die sind etwa für unser Gleichgewicht da. Drei Bogengänge befinden sich in unserem Ohr. Ein Bogengang ist für je eine Raumebene da. Das heißt: Ein Gang misst seitliche oder auch horizontale Bewegungen. Ein Bogengang reagiert auf Bewegung nach vorne und nach hinten. Und einer nimmt Bewegungen nach oben und unten wahr.
Die Sinneszellen in den Bogengängen nehmen schon kleine Veränderungen wahr. Die Reize werden über Nerven an das Gehirn weitergeleitet. Das wiederum meldet dann unseren Muskeln die entsprechenden Befehle, damit wir uns aufrecht bewegen können und nicht ständig umkippen.
Im All
Nicht nur auf Bewegungen reagieren der Gleichgewichtssinn in unserem Ohr. Zwei mit Flüssigkeit gefüllte Bläschen nehmen zudem die Schwerkraft der Erde wahr und verformen sich entsprechend. Und wenn es keine Schwerkraft gibt?
Im Weltall gibt es so gut wie gar keine Anziehungskraft. Die Astronauten auf der Internationalen Raumstation zum Beispiel schweben deshalb durch die Gegend. Der Gleichgewichtssinn ist entsprechend irritiert.
Forscher haben herausgefunden: Was die Bläschen im Ohr nicht messen können, müssen die anderen Gleichgeichts-Organe ausgleichen. Die Augen sind dann zum Beispiel umso mehr gefordert. Auch die sind eigentlich an die Schwerkraft gewöhnt. Deshalb soll etwa das Lesen im All anstrengender sein als auf der Erde.
Text und Foto: Philipp Brandstädter,
zunächst erschienen über dpa Nachrichten für Kinder, März 2020
Quellen: