Den meisten Bäumen in unseren Wäldern geht’s nicht gut. Jahr für Jahr regnet es viel zu wenig. Die Dürre macht die Bäume schwach. Und dann haben Schädlinge leichtes Spiel. Der Borkenkäfer zum Beispiel kann in großer Zahl ganze Wälder zerstören. Deshalb muss man das Insekt bekämpfen. Oder doch nicht? Manche Leute finden: Man soll die Natur auch mal Natur sein lassen. Und zu unserer Natur gehört eben auch ein gefräßiger Käfer.
Der Borkenkäfer ist ein kleines braunes Insekt. Die Männchen fressen sich in die Rinde von Bäumen hinein und bauen dort kleine Höhlen: die so genannten Rammel-Kammern. Dort legt das Weibchen seine Eier hinein.
Wasserleitungen gehen kaputt
Die daraus geschlüpften Larven fressen sich dann im Baum satt. Dabei fressen sie lange Gänge durch den Bast. Das ist das Holz hinter der Rinde eines Baumes. Durch den Bast leitet der Baum das Wasser aus seinen Wurzeln hinauf in die Blätter. Doch wenn diese Wasserleitung von Larven zerfressen ist, können keine Nährstoffe mehr in die Baumkrone gelangen. Und der Baum droht abzusterben.
Alexandra Bloch ist Rangerin im Nationalpark Hunsrück-Hochwald. Sie kümmert sich dort um Pflanzen und Tiere – und hat natürlich auch den Borkenkäfer im Blick. „Zuerst schaue ich mir von weitem an, welchen Eindruck ein Baum macht“, erklärt Alex Bloch. Wenn einer seine Zweige hängen lässt, dann nimmt ihn die Rangerin genauer unter die Lupe. Liegt Bohrmehl auf den Schuppen der Rinde und auf dem Boden herum? Glitzern Harztropfen am Stamm? Dann könnte das ein Zeichen dafür sein, dass sich Borkenkäfer in den Baum hinein geknabbert haben.
Harz als Schutz
Ein gesunder Baum bildet für gewöhnlich genug klebriges Harz, um sich gegen Eindringlinge zu wehren. Doch wenn ein Baum geschwächt ist, kann sich so manches Ungeziefer ungestört durch das Holz fressen. Borkenkäfer suchen deshalb kranke oder absterbende Bäume und nutzen sie als Brutstätte. Manchmal gibt es viele kranke Bäume an einem Ort. Zum Beispiel, weil ein heftiger Sturm gewütet und die Bäume beschädigt hat. Oder weil es lange Zeit nicht geregnet hat, die Böden ausgetrocknet sind und die Bäume kein Wasser haben. Dann kann sich der Borkenkäfer in großer Anzahl über die Bäume hermachen. Und so einen ganzen Wald zerstören.
Für die Förster und die Leute, die mit Holz Geschäfte machen, ist der Käfer ein Riesenproblem. Fachleute versuchen deshalb, rasch zu erkennen, ob ein Baum von den Larven des Borkenkäfers befallen ist. Dann wird der Baum sofort gefällt und seine Rinde entfernt. So kann sich das hungrige Insekt nicht weiter ausbreiten.
Die Natur Natur sein lassen
Alex Bloch hingegen findet den Borkenkäfer gut. Sie sagt: „Für die Wirtschaft ist der Käfer natürlich eine Gefahr. Aber nicht für den Wald.“ Es gehöre eben dazu, dass im Wald auch Bäume sterben. „Leben heißt Vergehen.“ In Teilen des Nationalparks, in dem Alex Bloch arbeitet, darf der Borkenkäfer darum so viel fressen, wie er will. Dort gibt es Waldstücke, in dem sich die Natur entwickeln soll. Ohne, dass der Mensch dabei eingreift.
So hat man in einem Nationalpark schon über viele Jahre beobachtet, was nach einem Schädlingsbefall geschehen kann: In einem Waldstück mit lauter zerfressenen und abgestorbenen Bäumen wurde es zunächst heller. Die Bäume hatten schließlich keine Schatten spendenden Kronen mehr. Auf der Lichtung begannen Rebhühner zu brüten. Außerdem erwärmte sich ein Bach durch das Sonnenlicht. Dadurch konnten mehr Nährstoffe ins Wasser gelangen, wodurch einige Pflanzen besser wachsen konnten. Auch die Forellen wurden größer und dicker. Was wiederum mehr Fischotter anlockte. Die Ursache, dass ein paar Bäume abgestorben sind, hat also eine große Wirkung nach sich gezogen.
„So ein kleiner gefräßiger Käfer bringt ganz schön Bewegung in unseren Natur-Kreislauf“, sagt Alex Bloch. Aber das darf er nur dort, wo der Mensch nicht auf das Holz der Bäume angewiesen ist. Deshalb ist es auch die Aufgabe der Rangerin, am Rand des Nationalparks Bäume zu fällen. Damit sich die unberührte Natur auch nur dort entfaltet, wo sie sich entfalten soll. Und der hungrige Borkenkäfer keinen Schaden für die Menschen anrichtet.
Mehr Wildnis
Unberührte Natur soll es in Deutschland übrigens mehr geben. Schon vor Jahren wurde beschlossen, dass sich zwei Prozent der Landesfläche ungestört als Wildnis entwickeln können soll. Das ist eine Fläche, die etwa halb so groß ist wie das Bundesland Thüringen. Wildnis soll sich zum Beispiel in Nationalparks, in Mooren und auf alten Truppenübungsplätzen entfalten. Aber wofür soll das eigentlich gut sein?
Mit einem Blick auf die Wildnis wollen Menschen verstehen, wie sich die Natur entwickelt. Etwa, wenn es eine Überschwemmung gegeben hat, einen Sturm oder wenn der Borkenkäfer im Wald wütet. In der Wildnis kann man beobachten, wie sich die Natur an die Bedingungen der Umwelt anpasst. Außerdem ist mehr Natur gut für das Klima und die Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren. Und nicht zuletzt tut sie auch uns Menschen gut, wenn wir ein bisschen Erholung brauchen.
Text und Bild: Philipp Brandstädter,
zunächst erschienen über dpa Nachrichten für Kinder, August 2016
Quellen: