Lichter im Kraftwerk

Der optimierte Mensch

erschienen in der taz, die Tageszeitung, am 19. Mai 2013

Nanoteilchen lassen die Wüste erblühen und Gewürzsalz besser rieseln. Machen sie uns womöglich auch bald unkaputtbar?

Warum kann der Gecko an der Wand laufen? Wieso leuchten Muschelschalen in verschiedenen Farben? Weshalb perlen Wassertropfen spurlos an den Blättern der Lotospflanze ab? Bereits in den achtziger Jahren haben Physiker mit High-Tech-Mikroskopen solche Naturphänomene erforscht. Die Antwort liegt im Nanobereich.

Nanoteilchen haben im Verhältnis zu ihrem Volumen eine riesige Oberfläche. Je größer die Oberfläche, desto reaktiver ist ein Material. So sind es vor allem die winzigen Partikel, die Entscheidendes bewirken und beispielsweise in der Grundsubstanz Siliziumdioxid den feinen Unterschied zwischen einem kostbaren Opal-Edelstein und einer wertlosen Glasflasche ausmachen.

Seit Jahren tüfteln Nanotechniker auf atomarer Ebene an einer neuen Generation von Materialien, Systemen und Geräten. Nanotechnologie, die „Lehre vom Handwerk der Zwerge“, macht schon heute Brennstoffzellen, Photovoltaikmodule und Elektromotoren wirkungsvoller als vor wenigen Jahren.

Nanostrukturen machen Kunststoffe gleichzeitig leichter und stabiler, Nanofilter reinigen Gewässer, und Biologen versuchen durch Nanotechnik, die Abläufe der Photosynthese zu imitieren und in Wüstengebieten Biomasse zu produzieren, damit dort mehr wächst. Der Nano-Pionier Craig Venter hat angeblich sogar bereits Bakterien künstlich hergestellt.

Supermenschen mit Supersinnesorganen

In der Medizin will man durch Nanoerkenntnisse neben Miniaturmotoren auch lebendes Gewebe bauen. Der Mensch soll noch gesünder, noch schneller, noch besser werden, genau wie es Greg Bear in seinem Science-Fiction-Roman „Blood Music“ beschreibt. Darin jagen winzige Nanoroboter eigenständig durch menschliche Blutbahnen, reparieren Zellen, stärken Knochen und Organe, schaffen Supermenschen mit Supersinnesorganen und Superimmunsystemen.

Die Neuauflage der Schöpfungsgeschichte, von der die Wissenschaft seit Langem träumt, rückt in greifbare Nähe. Und obwohl niemand prophezeien kann, wo dieser Traum hinführen soll, hat uns die Industrie längst mit Nanoprodukten überschwemmt.

Nanopartikel von Titanoxid reflektieren in der Sonnencreme das UV-Licht. Nanopartikel lassen Ketchup schneller fließen, Gewürzsalz besser rieseln, Fensterglas wird nicht mehr schmutzig und Lack nicht mehr zerkratzt. Beinahe unbemerkt hat sich die Nanotechnik in die Verkaufsregale geschlichen. Sie ist so selbstverständlich geworden, dass die Industrie kaum noch Werbeworte darüber verliert. Die Evolution zur Unsterblichkeit läuten diese Produkte jedoch bestimmt nicht ein – denn was den menschlichen Körper betrifft, ist man hierzulande in der Forschung und auf dem Markt eher vorsichtig.

„In Südkorea löffeln die Schulkinder Nanoplatinjoghurt, damit sie besser lernen und schneller Matheaufgaben lösen“, sagt Jurek Vengels vom Verbraucherschutz des BUND. Um die 600 abenteuerliche Lebensmittel listet das Woodrow-Wilson-Center weltweit unter dem Begriff „Functional Food“. In Deutschland sind nur ein paar Nanovitaminpillen auf dem Markt, zu wenig bekannt sind die Risiken und Nebenwirkungen.

„Was, wenn das Zeug schädlich ist?“

„Nanopartikel sind so klein, dass sie durch die Zellwände schlüpfen. Sie können sich dort anreichern, Moleküle spalten“, erklärt Vengels. „Bekannte chemische Stoffe nehmen im Nanobereich plötzlich neue Eigenschaften an. Wir hoffen natürlich, dass Nanotechnik unser Leben bereichert. Aber was, wenn das Zeug schädlich ist?“

Aufgrund der Skepsis der Regierung, deren Kommissionen das Risiko von Nanoprodukten bewerten, hält sich der Nanoboom noch in Grenzen. Die nasse Nanobadehose trocknet zwar schneller, nanolackierte Kleinwagen schillern an der Ampel wie lila-grüne Schmeißfliegen auf einem Hundehaufen – aber die praktische Pille für immerwährende Gesundheit und Jugend lässt mal wieder auf sich warten.

„Der Fortschritt ist eine Schnecke“, sagt Armin Grunwald, Professor für Technikethik am Karlsruher Institut für Technologie. Zwar sei die deutsche Grundlagenforschung führend, da aus den Ministerien viel Geld fließe. Trotzdem dauere es seine zehn bis zwanzig Jahre, bis die Ergebnisse schließlich auf dem Markt landen. Denn Technik muss immer erst verkauft werden, bevor sie sich weiterentwickeln kann.

Künftige Lebenserwartung: 120 Jahre

„Die Fortschritte können spektakulär sein, aber sicherlich nicht so fantastisch, wie sich manche erhoffen“, prognostiziert Armin Grunwald. „Nanoroboter in unserem Körper wird es zum Beispiel keine geben. Die naturwissenschaftlichen Argumente wie die Energieversorgung sprechen dagegen. Trotzdem wird es in den nächsten Jahrzehnten medizinische Entdeckungen geben, die unsere Lebenserwartung auf hundertzwanzig Jahre verlängern“, so der Technikphilosoph.

Mediziner haben bereits Nanokristalle entwickelt, mit denen Herz-Kreislauf-Erkrankungen schon in der Frühphase erkannt werden. Nanopartikel befördern Medikamente schneller dorthin, wo sie im Organismus wirken sollen.

An der Universität Marburg züchtet eine Arbeitsgruppe Nanofasern für ein besseres Knochenwachstum. An der Charité in Berlin wird an Nanoteilchen geforscht, die Tumorzellen töten. Durch die Verschmelzung von Bio- und Nanotechnologie soll es einmal möglich werden, Krebs, Alzheimer und Diabetes auszurotten, biologische Krankheiten zu bekämpfen, den Menschen nahezu unkaputtbar zu machen.

Dabei ein kleines bisschen Vorsicht walten zu lassen, ist vielleicht kein dummer Gedanke. Das findet auch Greg Bear, der Science-Fiction-Autor. Die supergesunden Supermenschen in seinem Nano-Roman verwandeln sich nämlich am Ende in rosafarbenen Brei.

Texte und Bild: Philipp Brandstädter

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