Im Katzenkorb versteckt sich ein ungewöhnliches Tier. Es hat borstiges Fell, eine spitze Schnauze und vier geschickte Pfoten mit langen Fingern. Ein bisschen sieht es so aus, als hätte es eine Maske auf. Denn seine Augen sind von schwarzem Fell umgeben. Bei Familie Schieck wohnt ein kleiner Waschbär. Aber so ein Wildtier gehört doch eigentlich in den Wald. Was macht der denn im Haus?
„Ich war mit Oma im Wald spazieren. Da haben wir einen kleinen Fellhaufen auf dem Weg gefunden“, erklärt Clemens. „Oma hatte ihre Brille nicht auf. Die dachte erst, das wäre ein Igel.“ Doch der Junge und seine Oma hatten ein Waschbär-Baby vor sich. Völlig entkräftet und noch viel zu jung, um schon seinen Bau zu verlassen. Vielleicht hatte es seine Mama verloren. Vielleicht musste sie fliehen.
Clemens entschied sich sofort: Sie mussten dem Tier helfen. „Eigentlich sind Waschbären ja schädlich für viele andere Tiere“, erklärt Clemens. „Aber den konnten wir da doch nicht einfach so liegen lassen.“ Opa Schieck setzte den Waschbären in einen Schuhkarton und gab ihm ein bisschen Katzen-Milch aus einer Pipette. „Danach hat er sich lange ausgeschlafen“, erinnert sich Clemens.
Kleiner Bär, großer Hunger
„Hätten wir Wugg nicht mitgenommen, wäre er bestimmt gestorben.“ Wugg – so hat Clemens den kleinen Waschbären genannt. Und bei Familie Schieck scheint es Wugg richtig gut zu gehen. Seine Augen hat er längst aufgemacht und viel größer ist er auch schon geworden. Ein Kilo wiegt er jetzt.
Kein Wunder, denn Wugg hat viel Hunger und trinkt jeden Tag eine ganze Menge Aufzucht-Milch. „Morgens hat er immer besonders viel Hunger“, sagt Clemens. „Da kaut er mit seinem spitzen Zähnen so lange an meinen Fingern herum, bis er endlich seine Nuckel-Flasche bekommt.“ Noch tobt Wugg in dem kleinen Wintergarten der Familie herum. Dort nagt er am liebsten auf seiner Spielzeug-Maus. Ab und zu faucht er dabei. Und wenn ihn Clemens streichelt, dann schnurrt Wugg wie eine Katze.
Doch auch, wenn Wugg furchtbar niedlich ist – Waschbären sind keine Haustiere. „Wenn Wugg groß ist, müssen wir ihn auszuwildern“, sagt Clemens. Am besten in einem Wildpark. Aber ob der kleine Bär von alleine Futter findet? Seine Mama hat es ihm ja nicht zeigen können.
„Waschbären, die zu sehr an Menschen gewöhnt sind, lernen nur schwer, allein zu überleben“, erklärt Andreas Kinser. Er kennt sich gut mit Wildtieren aus. „Ein Waschbär, der nicht mit seinen Artgenossen aufwächst, wird in freier Natur der Prügelknabe sein“, vermutet Andreas Kinser. „Man muss ausprobieren, wie er zurecht kommt.“ Auf jeden Fall wird er sich vor den Jägern in Acht nehmen müssen.
Ärger in der Stadt
Denn Waschbären haben keinen guten Ruf. „Der Waschbär kann sehr gut klettern und plündert die Vogelnester“, erklärt Andreas Kinser. Und natürlich macht der Waschbär keinen Unterschied zwischen weit verbreiteten und bedrohten Vogelarten. „Auch die Hoffnung, in einigen Gegenden Sumpf-Schildkröten zu schützen, ist getrübt“, so Andreas Kinser. Denn die hungrigen Waschbären fressen alles mögliche. Auch Schildkröten.
Richtig Ärger machen die Waschbären in der Stadt. „Dort, wo der Wald in die Vororte übergeht, werden die Waschbären von den Essensresten angelockt“, erklärt Andreas Kinser. Besonders im Winter, wenn das Futter knapp wird, wühlen Waschbären in Mülltonnen herum und verursachen Chaos. Außerdem nisten sie sich gern in Dachböden ein und richten dort Schaden an. Manche Leute stellen deshalb Fallen auf, um die Waschbären zu fangen. Denn die frechen Tiere sind für sie eine echte Plage.
Keine Feinde
Rasend schnell hat sich der Waschbär in Deutschland ausgebreitet. Denn natürliche Fressfeinde hat er hier nur wenige. Und Futter findet er fast überall. Deshalb wird der Waschbär gejagt. „Wie Rehe und Wildschweine werden auch Waschbären gejagt, um den Bestand einzugrenzen“, erklärt Andreas Kinser.
Denn zu viele Waschbären können für andere Tierarten gefährlich werden. „Der Waschbär frisst eben nicht nur ein paar Schnecken. Er hat es zum Beispiel auch auf die Eier und die Küken des bedrohten Schreiadlers oder des Schwarzstorchs abgesehen. Das muss man verhindern.“
In manchen Städten hat man sich schon damit abgefunden, mit dem Waschbären zu leben. Dort versuchen sich die Leute nur noch vor dem Schaden zu schützen, den die Tiere anrichten können. Zum Beispiel mit Elektro-Zäunen, Gittern und anderen Hindernissen. So können Waschbären nicht in die Häuser klettern. Und Mülltonnen werden eben sicher abgeschlossen.
Invasive Tierart
Ursprünglich kommt der Waschbär aus Nordamerika. Vor rund einhundert Jahren haben Menschen ihn nach Deutschland gebracht. Die einen züchteten ihn wegen seines Fells. Andere wilderten ihn aus, um ihn zu jagen. Was die Leute jedoch nicht bedacht haben: Der Waschbär vermehrte sich so schnell, dass die Jäger gar nicht mehr mit dem Jagen hinterher kamen.
Und nun gibt es bei uns inzwischen fast in allen Wäldern Waschbären. Sie übernachten gern in Erdhöhlen und Fuchs-Bauten. Gern halten sie sich am Wasser auf. Wenn sie mit ihren Pfoten am Flussufer herum wühlen, könnte man glauben, sie waschen Geschirr ab. „Tatsächlich wälzen sie Steine, um darunter Futter wie etwa Schnecken zu finden“, erklärt der Wildtier-Experte Andreas Kinser.
Der Waschbär sieht dem Dachs und dem Marderhund ein bisschen ähnlich. Aber er ist tatsächlich ein kleiner Bär.
Text und Bild: Philipp Brandstädter,
zunächst erschienen über dpa Nachrichten für Kinder, Juni 2014
Quellen