erschienen in der taz am 2. März 2013
Das Fleisch der Zukunft stammt nicht von Säugetieren. Heuschrecken und Kakerlaken sind die Delikatessen von morgen. Ein Selbstversuch.
Weil es die richtige Entscheidung ist, deshalb. Weil Insekten Nutztiere sein sollten. Das ist nur wirtschaftlich. Verfüttere zwei Kilo Salat an Insekten und du gewinnst ein halbes Kilo hochwertiges Protein. Stecke dieselbe Menge in ein Rind, ein Schwein, ein Schaf, egal: Keine zwei Happen Speck landen auf den Hüften unserer herkömmlichen Fleischlieferanten. Der Rest entweicht, Methan und Mist.
Insekten sind die bessere Nahrung. Sie sind leicht zu züchten, sie haben keine Lobby und kein zentrales Nervensystem, das Schmerz empfinden könnte. Kein Schwein interessiert es, ob sie gegessen werden, nicht einmal die Insekten selbst stören sich daran.
Auf allen Kontinenten werden über tausend Krabbelarten verspeist. Die Asiaten essen Ameisen und Skorpione, die Afrikaner Heuschrecken und Termiten, die Australier mögen Raupen und Motten, in Südamerika kommen Maden und Spinnen auf den Tisch. Auch hierzulande löffelte man vor hundert Jahren noch Gelbrandkäferbouillon und im Zweiten Weltkrieg die Maikäfer.
Heutzutage ziehen es die Europäer jedoch vor, alles zu erschlagen und zu zerlatschen, was unter die Schuhsohle passt. Denn Insekten sind irgendwie unheimlich, schmutzig, eklig, und dementsprechend rümpfe ich die Nase, als mich aus einer Plastikbox ein gutes Dutzend Facettenaugen anstarrt.
Rosarote Heuschrecken
Die Box habe ich aus der Zoohandlung. Ich musste Schlange stehen. Nicht etwa, weil die Leute auf den Geschmack gekommen sind, sondern weil die ganzen Haus-Leguane und Zimmer-Chamäleons gerade mit einem gesunden Appetit aus dem Winterschlummer erwachen. Mein Insektendealer schmunzelte, als ich meinen Wunsch vortrug, die anderen Kunden musterten mich – skeptisch bis angewidert.
An den Heimchen ist nix dran, sagt der Dealer, da brauchste schon was Größeres, verschwindet im Keller und kommt mit elf ausgewachsenen Heuschrecken wieder. Und vier riesigen, schwarz schillernden Fauchschaben. Handtellergroße, griesgrämige Monster, direkt aus der Hölle. Sie zetern und keifen. Sie flitzen mit ihren unzähligen Kakerlakenbeinchen die Plastikwand entlang, das Dunkel suchend und die Schrecken verschreckend, die wiederum losspringen, gegen den Deckel deppern und wieder auf der nächsten Schabe landen.
Eine Kettenreaktion des Horrors. Ich hab’s ja nur gut gemeint, sagt der Dealer, macht 4,50 Euro, ich bedanke mich herzlich, er wünscht guten Appetit, die Kunden gucken verwirrt und mein Einkauf rastet aus. Die Schaben scharren, die Schrecken springen. Es fühlt sich so an, als ob in der Tasche ein Handy vibriert.
Vielleicht sind es gerade diese schnellen, unkontrollierten Bewegungen auf diesen vielen Beinchen, die den Ekel aufkommen lassen. Ich weiß, dass das Getier aus der Box nicht schmutzig, quasi steril ist. Nie haben mich Insekten traumatisiert. Keine Kakerlaken in der Küche. Woher also die Abneigung?
Weshalb der Ekel?
Die Schrecken klettern auf den Schaben herum und ich denke an Tod, Verwesung, Alieninvasion. An das Eier legende, wimmelnde und alles vernichtende Kollektiv, das den Planeten beherrscht – zumindest zahlenmäßig und durch äonenalte Tradition. Ab ins Eisfach mit der Box. Schockfrost erscheint mir die humanste Methode zu sein, besser als lebend braten oder Drauftreten. Der Mord macht mir wenig aus.
Doch Mitleid bemächtigt sich meiner, als ich das Geziefer am nächsten Tag in Händen halte, starr und von weißem Reif umhüllt. Einige liegen mit eingezogenen Gliedern da, manche hängen am Deckelrand, ein letzter Versuch, dem Kältetod zu entrinnen. Meine Schuld. Ich sammle die steifen Körper aus ihrem Sarg und beginne zunächst, die Beine mit den Widerhaken zu entfernen. Die sollen zwar schön knusprig sein, sind beim Verzehr aber schon in der einen oder anderen Speiseröhre hängen geblieben.
Bei der Zubereitung meiner Delikatesse arbeite ich hastig und lieblos. Wer weiß, wie schnell die Dinger wieder aufwachen. Doch die Massenamputation geht schwer vonstatten, die Beine wollen sich nicht vom Körper lösen, reiße ich zu stark, fliegt das Vieh in Fetzen. Bei den Heuschrecken zupfe ich auch die Flügel vom Rumpf, einmal löst sich der Kopf mit ab. Eine tiefschwarze Flüssigkeit rinnt harzig aus der Schlundwunde und verklebt das Küchenbrett. Was immer das sein mag: Schön ist es nicht. Mir wird übel.
In Sachen Ästhetik lassen Körperflüssigkeiten generell zu wünschen übrig, denke ich mir, von Freudentränen abgesehen. Doch weshalb der Ekel? Mich müssten ganz andere Leckereien anwidern: Verschimmelte, geronnene Ziegenmilch, roher Fisch und dessen Rogen, Weinbergschnecken. Aber das wird von den Gourmets hoch geschätzt. Auch Wurst und Hack und Hühnereier widern uns nicht an, obwohl jeder die Bilder aus der Massentierhaltung kennt.
Keine Frage der Vernunft
Ekel ist eben keine Frage der Vernunft und nur selten des Instinkts. Ekel entstammt der Erziehung, der Sozialisation. Sie macht den feinen Unterschied zwischen dem von Serranoschinken umwickelten Stück Honigmelone und dem wurmstichigen Fallobst. Was ist der Unterschied zwischen einer Heuschrecke und einer Garnele? Augen, Fühler, Beine, Panzer, alles dran. Und tatsächlich: Im siedenden Öl nehmen die Hüpfer eine goldbraune bis rötliche Farbe an, ähnlich wie Shrimps. Schlecht ist mir trotzdem.
Ich meditiere kluge Argumente vor mich hin: Schluss mit dem Überfluss, der Verschwendung, der Planetenplünderung. Iss Insekten! Die Haltung im Stapelkasten schont den Geldbeutel, die CO2-arme Fleischproduktion das Klima. Sogar die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft wirbt für die Nahrung der Zukunft. Außerdem können wir uns bald kein anderes Fleisch mehr leisten. Die Weltlandwirtschaft kann die Viehzucht nicht mehr tragen, gewöhnen wir uns an die Alternativen.
Also spieße ich eine Schrecke auf und kaue darauf herum. Der Geschmack: langweilig. Im Inneren des knusprigen Panzers ist nichts los, es schmeckt nach Erdnussflips, nicht schlecht, aber auch nicht spektakulär. Ich paniere die Insekten in einer Marinade aus Tahini, Honig, Senf und etwas Mehl. Dann brate ich sie mit Knoblauch und Chili scharf an. Wesentlich besser. Aber paniert und frittiert schmeckt alles. Auf diese Weise könnte ich Scheuerlappen zubereiten. Oder meinen linken Fuß.
Modrige Kakerlaken
Nun sind die Kakerlaken dran. Ich beeile mich, die Pfanne anzufeuern. Nussöl erhitzen und rasch die Fauchschaben dazu. Die machen ihrem Namen noch einmal alle Ehre. Als das Öl zwischen den Chitinplatten ins Schabenfleisch dringt, knistert, quietscht und zischt es gewaltig in der Hexenküche. Ich schwenke die Biester minutenlang im Fett, auf dass sie endlich den Rand halten und meditiere: Ernähre dich bewusst, iss gute Insektenproteine, Vitamine und lecker Mineralien. Alljährlich essen wir ein halbes Kilo Insekten, die sich in Obstschalen, im Getreide, in der Marmelade und im TK-Gemüse verstecken, da kommt es darauf jetzt auch nicht mehr an.
Ich halbiere eine Schabe. Am Panzer klebt ein bisschen Fleisch, weiß und faserig, ähnlich wie Geflügel. Sonst ist da nichts, was in dem daumengroßen Hinterleib gourmetverdächtig wirkt. Alles Innereien. Röhren, Ganglien, Drüsen, Därme, ich will nicht wissen, was genau. Ich klammere mich an mein Mantra: Insekten essen gegen den Welthunger, gegen die Waldrodung, gegen das Leerfischen der Meere! Sicher ist es ohnehin längst gängige Praxis, euch zu zermüllern und als Billighack, als Wurst, als Mikrowellengerichte zu verkaufen.
Und was mich angeht: Nur noch den Ekel überwinden, zubeißen und …
So gesund, p. c., öko und pferdefrei es auch sein mag, die Kakerlake schmeckt so, wie sie anmutet. Modrig. Irgendwie nach Keller. Scheiße. Nichts für mich, ihr Alienviecher aus der Hölle. Ich übe mich künftig in Askese.
Text und Bild: Philipp Brandstädter