Mal scheint sie schnell zu vergehen, mal so gut wie gar nicht. Die Zeit fühlt sich für uns immer ein bisschen anders an. Aber woran liegt das? Zeitforscher beschäftigen sich damit, wie und warum wir die Zeit so unterschiedlich wahrnehmen.
Eine Minute kann sich wie eine Sekunde anfühlen. Das weiß jeder, der mal noch gaaanz kurz dösen will, nachdem der Wecker bereits geklingelt hat. Eine Minute kann aber auch unheimlich lange dauern. Zum Beispiel, wenn man versucht, eine Minute die Luft anzuhalten. Mal denkt man sich: Wie lange dauert das denn noch. Oder man schaut auf die Uhr und wundert sich, dass die Zeit wie im Flug vergangen ist.
Der Zeitforscher Dietrich Henckel weiß, warum. Er sagt: „Wir messen die Zeit ständig mit Uhren und Kalendern. Doch wir selbst sind nicht besonders gut darin, die Zeit richtig zu erfassen.“ Dazu brauche man nur einmal die Augen zu schließen und zu versuchen, eine Minute abzuzählen. Dabei könne man sich manchmal ganz schön täuschen. „Wie die Zeit tatsächlich vergeht, ist uns selten so richtig bewusst“, sagt Dietrich Henckel.
Denn Zeit ist nicht gleich Zeit. Einerseits gibt die Zeit der Natur, nach der wir uns richten. Damit ist Tag und Nacht gemeint. Aber auch der Wechsel von Vollmond zu Neumond oder die vier Jahreszeiten. Andererseits hat jeder sein eigenes Zeitgefühl. „Wie lang sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft anfühlt, ist für jeden Menschen und zu verschiedenen Zeiten ganz unterschiedlich“, sagt der Fachmann.
Kurze und lange fünf Minuten
Das hängt zum Beispiel davon ab, wie wir die Gegenwart erleben. Ob wir Freizeit haben oder arbeiten müssen. Ob wir Freude dabei haben oder nicht. Und ob wir die Zeit allein oder mit Freunden verbringen. Meist vergeht die Zeit mit anderen Menschen gefühlt schneller. Doch mit anderen muss man die Zeit auch miteinander in Einklang bringen. Wir verabreden und treffen uns zu bestimmten Zeiten, warten aufeinander, oder müssen uns zeitiger wieder verabschieden.
Im Nachhinein fühlt sich die vergangene Zeit auch wieder unterschiedlich an. „Zeiten, in denen wenig bis gar nichts Spannendes passiert, schrumpfen in unserer Erinnerung und wirken ganz kurz“, erklärt Dietrich Henckel. Die fünf Minuten, die wir heute auf den Bus gewartet haben und sich wie eine halbe Ewigkeit angefühlt haben, haben wir morgen schon so gut wie vergessen. Forscher sprechen dabei vom Zeit-Paradoxon. Je mehr Eindrücke wir in einer Zeitspanne erleben, desto länger kommt uns die Zeit rückblickend vor.
Für Kinder kürzer
Auch Kinder und Erwachsene erleben die Zeit unterschiedlich. „Für einen alten Menschen sind zwei Jahre vielleicht nicht sehr viel“, sagt der Forscher. „Doch für ein Kleinkind entspricht dieselbe Zeitdauer die Hälfte seines bisherigen Lebens.“ Ein Kind sammelt in dieser Zeit im Verhältnis viel mehr neue Erfahrungen als ein Erwachsener das tut. „Und so erscheinen Kindern etwa die sechs Wochen Sommerferien zunächst als unheimlich langer Zeitraum“, erklärt der Fachmann. „Für die Erwachsenen hingegen sind die eineinhalb Monate nichts besonderes.“
Deshalb bleibt uns nichts anderes übrig, als die Zeit so zu nehmen, wie sie eben ist, sagt der Fachmann. „Wir wissen, dass schöne Zeit schneller vergeht als nicht so schöne. Anhalten oder vorstellen können wir die Zeit trotzdem nicht.“ Eine Kleinigkeit haben wir dann aber doch selbst in der Hand: Wir können die gegenwärtige Zeit bewusster wahrnehmen. Wer mal warten muss oder sich langweilt, sollte sich deshalb etwas überlegen, wie sich die Zeit angenehmer gestalten lässt, rät der Zeitforscher.
Die Zeit messen
Seit Jahrtausenden messen Menschen die Zeit. Denn sie war für das Leben, das Zusammenleben und das Überleben in der Gemeinschaft wichtig. Die Leute mussten etwa wissen, wann sie ihre Felder bepflanzen, bewässern und ernten müssen. Auch das Bauen von Gebäuden erforderte eine kluge Zeitplanung.
Für diese Zwecke nutzten die Menschen schon frühzeitig unterschiedliche Instrumente für die Zeitmessung. Das waren zunächst Kalender, Schattenstäbe, Wasser- und Sanduhren oder auch Kerzen. Später wurden die Zeitmesser immer genauer. Uhren wurden erfunden, die immer genauer tickten. Und je zuverlässiger die Uhren gingen, desto genauer planten die Menschen ihre Zeit. Wer sich früher irgendwann an einem bestimmten Tag traf, traf sich später auf die Minute genau zu einer vereinbarten Uhrzeit.
Heute zeigen uns Wecker, Wanduhren, Armbanduhren, Stoppuhren und Smartphones die Zeit an. Und sie bestimmen unseren Alltag. Denn je besser wir uns an bestimmten Zeiten orientieren können, umso genauer können wir unser Miteinander in der Gemeinschaft planen. Vom Unterrichtsbeginn bis zum Feierabend.
Text und Foto: Philipp Brandstädter, zunächst erschienen über dpa Nachrichten für Kinder, März 2021