Pyramiden, Paläste, Türme. Schon merkwürdig, was wir Menschen schon vor Jahrtausenden alles zusammengezimmert haben sollen. Ein bemerkenswertes Bauwerk ist Stonehenge.
Der wundersame Kreis aus gewaltigen Steinen in der Nähe von Salisbury im Südwesten von England ist unfassbare 5000 Jahre alt. Bis heute zieht es Besucher aus aller Welt dorthin. Weil dieser Ort einfach etwas Geheimnisvolles an sich hat. Doch mittlerweile konnten Forschende viele Geheimnisse um Stonehenge lüften.
In der Zeit, als weder das Rad noch die Schrift erfunden war, entstand ein Bauwerk aus riesigen Steinen. Viele stehen senkrecht nebeneinander. Andere liegen quer auf ihnen. Jemand hat die Steine in Form gebracht und angepasst. Wie Legoklötze greifen sie passgenau ineinander. Nur sind die Steine eben nicht Lego. Es sind tonnenschwere Kolosse, teilweise dreimal so hoch wie ein Erwachsener. Wie konnten die Menschen von damals nur so etwas erschaffen?
Bekamen die Steinzeitmenschen Hilfe?
Man könnte meinen, Wesen mit übermenschlichen Kräften hätten bei dem Bau geholfen. Doch Fachleute haben inzwischen nachvollzogen, wie die Steinzeitmenschen mit ihrer Kenntnis und ihren Mitteln schon damals die Riesensteine bewegen und einbuddeln konnten.
„Hunderte von Menschen haben gemeinsam die Steine bewegt“, erklärt Mike Parker Pearson. Der Wissenschaftler vom University College in London hat viele Dinge über Stonehenge herausgefunden. „Mit Rollen aus Holz, unzähligen Seilen und sehr viel Zeit. Um die 800 Jahre lang haben die Menschen daran gearbeitet.“
Schaut man sich in Stonehenge um, kann man sich kaum vorstellen, wie man die Steine ganz ohne Zauberei – oder ohne die schweren Baumaschinen von heute – auch nur einen Millimeter bewegt haben soll. Aber es wird noch unglaublicher: Die Forscher fanden heraus, dass die Menschen die großen so genannten Sarsen-Steine aus etwa 40 Kilometern Entfernung an ihren heutigen Platz beförderten. Die etwas kleineren so genannten Blausteine kommen sogar aus Wales. Das ist über 240 Kilometer von Stonehenge entfernt! Aber wofür diese wahnsinnige Mühe?
Den Kreislauf der Natur ablesen
Wissenschaftler haben den Boden in Stonehenge und der Umgebung untersucht. Und fanden jede Menge Gräber. Anhand alter Knochen und anderer Fundstücke haben die Forscher viel über das Leben der Menschen von damals erfahren. „In der Gegend lebten mehrere Gruppen von Menschen“, erklärt Mike Parker Pearson. „Sie haben lange gegeneinander gekämpft. Doch irgendwann schlossen sich die Menschen zusammen.“ Gemeinsam mussten sie im Sommer gut vorsorgen und den Winter überstehen. Und gemeinsam schufen sie auch dieses steinerne Heiligtum.
Die riesigen Sarsen-Steine wurden dabei nicht willkürlich aufgestellt, im Gegenteil. Die Menschen richteten sie nach einem ganz bestimmten Stand der Sonne aus! So konnten sie etwa ablesen, wann sie mit der Aussaat und der Ernte ihrer Nutzpflanzen beginnen konnten. Ging die Sonne genau zwischen zwei großen Sarsen-Steinen auf, ließ sich so der längste Tag im Jahr an den Steinen ablesen: die Sonnenwende.
Die wird seit jeher von Völkern auf der ganzen Welt gefeiert. Sie ist ein Zeichen für den ewigen Kreislauf der Natur. Und auch heute kommen Hunderte Leute nach Stonehenge, um die Sonnenwende zu feiern. Sie schauen zu, wie die Sonne genau zwischen den riesigen Steinen aufgeht und tanzen um das einzigartige Bauwerk.
Die Steinzeitstadt
Nur ein paar Kilometer von Stonehenge entfernt brachte ein kreisrunder Erdwall die Forschenden auf die Spur. Bei ihren Ausgrabungen entdeckten die Wissenschaftler dort Überreste von Häusern, Betten, Feuerstellen – und Knochen. Die Forscher waren auf ein altes Dorf aus der Steinzeit gestoßen. Dort lebten einst die Menschen, die Stonehenge erbaut haben.
„Wir haben jetzt ein neues Verständnis für das Wer, das Wann, das Wie und das Warum“, sagt Mike Parker Pearson über die gelösten Rätsel rund um Stonehenge. An die 1000 Häuser muss es in dem Erdwall einst gegeben haben. Für die damalige Steinzeit war das eine riesige Großstadt.
Diese Stadt war eine reine Arbeiter-Stadt. Die Steinzeitmenschen lebten dort nicht das ganze Jahr. Dann hätte man nämlich Reste von Feldern und Viehzucht rund um die Stadt gefunden. Wahrscheinlicher ist, dass die Menschen aus Nah und Fern hierher kamen, um gemeinsam an Stonehenge weiterzubauen.
Noch so ein Kreis
Und wofür die irrwitzige Mühe? Dazu muss man sich heute vorstellen: Vor Tausenden von Jahren waren die Menschen noch viel mehr der Natur ausgesetzt. Sie brauchten gute Ernten und gesunde Tiere, um im Winter keinen Hunger zu leiden. Wie sehr müssen die Steinzeitmenschen auf mehr Sonnenlicht gehofft haben, wenn es bibberkalt und das Essen knapp wurde. Vermutlich errichteten die Menschen Stonehenge als eine Stätte der Hoffnung. Das Bauwerk war wohl Teil ihres Glaubens.
Unweit von Stonehenge entdeckten Wissenschaftler noch ein anderes Henge: Woodhenge. Wood ist das englische Wort für Holz. Da Holz allerdings verrottet, stießen die Forscher nur auf mehrere Kreise aus Löchern in der Erde. Darin steckten einst Holzpfähle.
Forscher vermuten heute, dass Stonehenge und Woodhenge Teil eines steinzeitlichen Fests gewesen sind. Das vergängliche Holz steht dabei als Zeichen für das vergängliche Leben. Von dort aus pilgerten die Steinzeitmenschen einen großen Fluss entlang. Bis sie nach ein paar Kilometern Fußmarsch schließlich Stonehenge erreichten. Der unvergängliche Stein war ein Zeichen für die Ewigkeit – und den Tod. Deshalb finden sich um Stonehenge herum auch sehr viele Gräber. Die Menschen bestatteten dort ihre Toten.
Text und Bild: Philipp Brandstädter,
zunächst erschienen über dpa Nachrichten für Kinder, September 2019
Quellen
Gespräche mit Prof. Dr. Mike Parker Pearson, University College London, und Susan Greany, Heritage London
Prof. Dr. Mike Parker Pearson: Science and Stonehenge. Recent Investigations of the World’s Most Famous Stone Circle.