Cannabis

Mein Leben mit Highdrun

erschienen in der taz am Wochenende am 12. Oktober 2024

Pünktlich zur Legalisierung von Cannabis habe ich angefangen ein bisschen Gras anzubauen. Weil das Zeug wie Unkraut wächst und wächst und wächst, komme ich mir gar nicht mehr sooo legal vor.

Die ganze Bude stinkt nach Weed, und ich gerate in Panik. Mein kleines Gartenexperiment ist mir über den Kopf gewachsen. Im Knast landen werde ich dafür. Zusammen mit all den anderen Leuten, die angefangen haben Cannabis anzubauen und nun auf viel mehr Gras sitzen als die Polizei erlaubt.

Es ist die gleiche Panik wie früher. Damals, mit 18, als meine Kifferfreunde und ich von der Polizei gejagt wurden. Als ich nur wählen gegangen bin, damit irgendwann mal irgendwer Gras legalisiert. Es kommt mir heute albern vor, dass es eine Zeit gab, in der Cannabis wichtiger war als die Dinge, auf die es tatsächlich ankommt. Aber dort, wo ich aufgewachsen bin, da war Grasrauchen so etwas wie das Sinnbild von Freiheitskampf.

In einem Dorf in Unterfranken reichte ein Joint, um mit allen dazugehörigen politischen Einstellungen und Idealen aus dem Rahmen zu fallen. Wer Gras rauchte, war Rebell. So wie meine Jungs und ich, eine kleine konspirative Kiffergruppe, die sich lichtscheu hinter Gebüschen und Gebäuden vor dem Auge des Gesetzes versteckte. Nichts hätte unseren inneren Frieden mehr eingeschränkt als die Sorge, wegen eines Joints von den Bullen hopsgenommen zu werden.

Zwanzig Jahre später

Damals hätte ich nicht damit gerechnet, dass ich zwanzig Jahre später in einer Menschenmenge vor dem Brandenburger Tor stehe und die Legalisierung bejubele. Irgendwie war es dem Gesundheitsminister gelungen, auf dem Weg zu einer vernünftigen Drogenpolitik zunächst einmal Cannabis zu legalisieren. In der Nacht auf den 1. April war der Freiheitskampf von damals vorbei – und ich hatte ein Tütchen Grassamen zwischen meinen Fingern.

Eine Freundin hatte sie aus den Niederlanden mitgebracht und mir zu Mitternacht feierlich überreicht. Sie erzählte mir, wie gut die Pflanzen aus diesem Samen für den Garten geeignet sind, wie lange sie zum Wachsen brauchen, wie stressresistent das Gras und wie potent die Blüten seien, wonach sie schmecken würden, paradies paradas. Ich habe nicht alles verstanden, so laut war das Gejohle um uns herum, als die Menschenmenge ihre Joints entzündete, um ihre neu gewonnene Freiheit zu feiern.

„Ich entledige mich hiermit meines Joints“, ruft einer und legt seine Tüte behutsam auf die Bordsteinkante. Eine andere hebt den Dübel wieder auf. „Oh, ich habe einen Joint gefunden!“, raucht und macht dann irgendetwas zwischen Lachen und Husten. Zugegeben, die Regeln des Cannabisgesetzes (CanG) sind noch etwas merkwürdig: Kiffen ist erlaubt, die Abgabe aber nicht. Nix da mit kreisenden Joints. Außerdem ist es legal, drei Hanfpflanzen zu Hause zu besitzen. Diese dürfen dann 50 Gramm getrocknetes Marihuana abwerfen. Mit exakt der Hälfte der Ernte darf man spazieren gehen, im öffentlichen Raum sind 25 Gramm Besitz erlaubt.

Das Experiment beginnt

Bis vor Kurzem fiel Cannabis noch unter das Betäubungsmittelgesetz. Die Gesetzeslage war von Bundesland zu Bundesland sehr verschieden. In Schleswig-Holstein und Hessen zum Beispiel galten zehn bis zwanzig Gramm Cannabis als Eigenbedarf und straffrei. Bayern hingegen war deutlich strenger, lasen wir in Internetforen, aber nie in offiziellen Gesetzestexten. Schon damals waren ich und meine Kifferfreunde uns nicht ganz sicher, was uns schwante, wenn wir mit einem Fitzel Gras oder einem Krümel Dope in der Hosentasche gefilzt würden. Wir gingen aber davon aus, dass uns mindestens ein wütender Mob durchs Dorf jagen würde.

Heute ist mir die Sache nicht mehr so wichtig, um überhaupt irgendeine Strafe dafür zu riskieren. Meine Kifferzeit ist seit der Uni vorbei. Aber ich gärtnere gerne. Ich mag es, dem Grün beim Wachsen zuzusehen. Es fasziniert mich, wie sich das Leben entscheidet, mal Blatt, mal Blüte, mal Frucht zu werden. Ich experimentiere gern mit Setzlingen von Kräutern und Gemüsesorten, tausche Ableger von Zierpflanzen mit Freunden. Ich rette Pflanzen, die bei Menschen ohne grünen Daumen zum Tode verurteilt wären, aus ihren Blumentöpfen. Und darum dachte ich mir: Wenn’s schon legal ist, warum nicht mal Gras anbauen?

Phase 1: Wir wollen Weibchen

Mit der Sprühflasche feuchte ich das doppelte Küchenpapier nach, zwischen das ich die zehn niederländischen Samen gesandwicht habe. Noch traue ich mich nicht nachzusehen. Wie viele von ihnen werden tatsächlich keimen? Wie viele braucht man überhaupt, um am Ende bei den drei erlaubten erwachsenen Pflanzen zu landen? Von meinen Tomaten, Kürbissen und Chilis weiß ich ja: Sämlinge sterben, Keimlinge sterben, Jungpflanzen knicken um oder wollen nicht wurzeln, erwachsene Pflanzen fangen nicht an zu blühen, natürliche Selektion, ein bisschen Schwund ist immer.

Doch die Fragen stellen sich gar nicht, denn meine Quote ist mies. Obwohl ich die Samen sogar nur mit der Pinzette angefasst habe, um sie vor eventuellen Giften an meinen Fingerkuppen zu verschonen, keimt nach einer Woche nur die Hälfte der Samen. Die kommen zur Anzucht in Quelltöpfe aus Kokossubstrat. Ich stecke eine Bleistiftspitze in die Erde und lasse die Sämlinge mit der weißgelben Wurzel voran in die Löcher fallen. Ein paar Tage vergehen, bis sich drei Keime an die Oberfläche drücken und ihre Samenschalen von ihren runden Keimblättern abschütteln. Willkommen auf der Welt.

Um die drei Kleinen muss ich mich nun besonders kümmern. Denn es heißt, je besser es ihnen in ihrer vegetativen Phase geht, also je besser sie mit Licht, Nährstoffen und Wasser versorgt und je weniger Stress sie ausgesetzt sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Pflanzen sich entscheiden, Weibchen zu werden. Und wir wollen Weibchen. Nur die Weibchen kann man rauchen, also deren Blüten. Sie produzieren das klebrige Harz, auf das es die Menschheit schon in der frühen Jungsteinzeit abgesehen hat.

Phase 2: Es werde LED-Licht

Damals entschied noch Mutter Natur, wann die Pflanzen zu blühen begannen, und zwar, wenn die Tage kürzer werden. Heute sage ich, wann die Sonne scheint. Ich habe mir ein paar LED-Panels mit blauen und roten Leuchten angeschafft, zusammen mit einem Mini-Treibhaus, das ich unter meinen Schreibtisch gestellt habe. Dort bekommen meine Babys jetzt 18 Stunden Volldröhnung Licht am Tag. Das schickt sie auf den Weg zu einem hoffentlich robustem Wachstum.

Das gleißende Rosa der LEDs lässt mich schwer einschlafen. Viele Hob­by­gärt­ne­r:in­nen tun es mir offenbar gleich: Bei meinen abendlichen Spaziergängen durch den Kiez fallen mir immer mehr rosa leuchtende Fenster auf. Ist ja auch praktisch, die LEDs kosten nicht mehr viel und fressen deutlich weniger Strom im Vergleich zu den Natriumdampflampen, wegen derer die Polizei damals schon am Stromzähler ablesen konnte, ob jemand Gras anbaut.

Zwischen der vierten und sechsten Woche nach ihrer Keimung sehen die Pflanzen auch tatsächlich nach Gras aus. Nach den noch unspezifischen Keimblättern sind erste Blätter mit ihren charakteristischen Zacken gewachsen. Erst war ein geriffelter Finger pro Blatt zu sehen, leuchtend grün. Danach wuchsen Blätter mit drei Fingern. Bald werden es fünf sein, bald sieben.

Aus zwei Quelltöpfen wachsen unten Wurzeln durch. Im dritten passiert nichts, eine weitere Jungpflanze ist verkümmert. Die anderen beiden topfe ich nun rasch um. Sie bekommen viel Platz in einem Mix aus Pflanzengranulat und torffreier Blumenerde, damit sie es schön luftig haben. Doch die eine der beiden verbliebenen Pflanzen will nicht so recht weiterwachsen. Ich setze sie zwischen das Basilikum und die Petersilie auf dem Balkon aus. Von nun an gilt mein ganzes Vertrauen der einen kleinen Pflanze, die sich unter dem Kunstlicht in ihrem neuen Topf ganz prächtig macht. Ich nenne sie Highdrun, etwas voreilig, in der Hoffnung, dass es auch eine weibliche Pflanze wird. Ein Highno wäre mir nicht so recht.

Highdrun bekommt ein eigenes Zimmer. Ich räume die Besenkammer frei, klebe die Wände mit silbrig reflektierenden Rettungsdecken ab und hänge die Pflanzenlichter an die Decke. Ich habe eine Zeitschaltuhr besorgt, damit das Licht auch ohne mich an und aus geht, und gieße kräftig, damit der Wurzelballen Wasser und Nährstoffe tanken kann. Nun darf sich Highdrun in ihren eigenen vier Wänden ausbreiten.

Ich streichle ihr über den Kopf. Streicheln ist wichtig, vor allem bei Indoor-Pflanzen. Die sind schließlich nie Wind ausgesetzt und kommen deshalb nicht von selbst auf die Idee, einen kräftigen Stamm auszubilden. Aber den wird Highdrun brauchen, wenn sie einmal schwere, harzige Blüten tragen soll. Durch das Streicheln werden die Zweige bewegt und gebogen und das Wachstum angeregt.

Was ich dann beobachte, gefällt mir gar nicht. Durch die Bewegung der Pflanze werden drei, vier, fünf kleine Insekten im Erdreich aufgeschreckt: Trauermücken! Die haben mir gerade noch gefehlt. Ihre Larven fressen meiner Pflanze die Wurzeln ab, und das hat bei Jungpflanzen verheerende Folgen. Es ist Sonntagabend, das Gartencenter hilft mir diesmal nicht. Also klingele ich meine Nachbarin raus, deren Wohnung ebenfalls rosa leuchtet. Sie schenkt mir ein paar Gelbfallen: kleine gelbe Tafeln, die mit Leim beschichtet sind. Die werden den miesen Mücken den Garaus machen.

Die Nachbarin fragt, welchen Dünger ich denn nehme. Auch noch Dünger? Ja, ich müsse jetzt unbedingt düngen, die Pflanze brauche mehr Nährstoffe! Am nächsten Morgen stehe ich im Gartencenter vor den Regalen. Die eine Million Düngemittel unterscheiden sich in ihrer NPK-Zusammensetzung. N für Stickstoff. Das braucht eine Pflanze, um Zellmaterial und Chlorophyll aufzubauen. P für Phosphor. Das treibt später die Blüte voran. K für Kalium. Das hilft der Pflanze Wasser zu binden. In der vegetativen Phase braucht Cannabis einen NPK-Dünger im Verhältnis 3:1:1, sagt die Nachbarin. Später, in der Blütephase, muss dann ein Verhältnis von 1:3:2 her, weil mehr Phosphor gefragt ist. Und ganz zum Schluss vielleicht noch einmal 0:3:3 kurz vor der Ernte.

Ach, und ob ich denn auch in ein anständiges Belüftungssystem investiert hätte? Und wie ich es eigentlich mit der Bewässerung halte? Mein kleines Gartenprojekt wird wohl doch etwas komplizierter.

Phase 3: Highdrun wird geköpft

Der berauschende Wirkstoff Tetra-Hydro-Cannabinol, also THC, der in den Blüten steckt, hat mir in der jüngeren Vergangenheit zu heftig gescheppert. Das Zeug, das ich zuletzt in Joints gekrümelt habe, war so hoch potent, an die zwanzig Prozent THC sollen darin gewesen sein. Dreimal so viel wie früher. Auch aus diesem Grund bin ich kein so großer Fan von Weed mehr. Ich erinnere mich an gesellige Abende in kleinen Runden, an denen ich nach ein paar Zügen kreidebleich wurde und kaum mehr an den Gesprächen teilnehmen konnte, wie peinlich. Am Morgen danach wachte ich noch total verklatscht auf. Dieses Stonergefühl, wake and bake, es lässt sich nicht mehr mit meinem Alltag vereinbaren. Keinen Schimmer, wie potent die Blüten von Highdrun wirklich sein würden. Aber es wird sich schon jemand finden, der mir mein Gras wegrauchen will.

Immer häufiger unterhalte ich mich mit Nachbarn und Freun­d:in­nen über mein Hobby. Die neue Gärtnerei scheint so ziemlich jeder charmant zu finden, egal, was sie oder er vom Kiffen hält. Ich höre die Geschichte eines älteren Ehepaars, das die Pflanzen ihrer Kinder im Garten aufgenommen hat. Die Kinder besuchten die Eltern jetzt wieder öfter. Im Freundeskreis werden Pflanzen vermittelt, weil jemand beim Züchten zu viel Glück hatte. So wie damals im Dorf, wenn wieder ein Wurf Katzenwelpen oder Kaninchen verteilt werden musste. Eine Nachbarin fragt, ob sie ihre Pflanzen auf den Balkon des Nachbarn stellen darf, da scheine länger die Sonne als bei ihr.

Meine Pflanze gedeiht prächtig. Zehn Zentimeter, zwanzig Zentimeter, ich schaue ihr beim Wachsen zu. Und ich werde ehrgeizig. Highdrun soll nicht einfach wachsen, wie die Natur es gebietet. Ich will das Maximum aus ihr rausholen. Also greife ich in die natürliche vegetative Phase ein.

Was zur Hölle hat sich die Regierung dabei gedacht?

Es gibt eine Handvoll Methoden, Wachstum und Blüte zu beeinflussen. Sie heißen Low Stress, Supercropping, Scrogging oder Fimming. Besonders oft angewandt wird aber das Topping. Dazu muss ich Highdrun etwas Leid zufügen: Ab dem fünften Sprossknoten, also dort, wo weitere Blattspuren abzweigen, säble ich meiner Pflanze den Kopf ab. Das wirkt zunächst sowohl gemein als auch kontraproduktiv, ausgerechnet der Kopf, wo bald die dickste Blüte prangen könnte?

Ja, das Topping bringt mehr Blüten. Denn nun wird sich die Pflanzenspitze verzweigen. Anstelle einer großen Blüte wachsen zwei Zweige, die neue Blütenspitzen ausbilden können. Zwei Sprossknoten später toppe ich Highdrun erneut, um noch einmal die Spitzen zu verdoppeln. Von da an hat meine Pflanze vier Köpfe, die dicke Blüten ansetzen können.

Phase 4: Es ist ein Mädchen

Manche Pflanzen blühen schon nach sechs Wochen. Ich habe es nicht eilig. Highdrun auch nicht. Ist halt ein Spätzünder. Oder hoffentlich eine Spätzünderin! Als Herrscher über Tag und Nacht gebe ich ihr trotzdem einen kleinen Denkanstoß und stelle die Zeitschaltuhr auf einen Hell-Dunkel-Rhythmus von zwölf zu zwölf Stunden statt der ursprünglichen 18 Stunden um. In der Besenkammer wird es Herbst. Damit leite ich die Blütephase ein.

Ich fahre in den Urlaub, jemand muss sich um Highdrun kümmern. Der größte Stoner im Freundeskreis übernimmt den Dienst gern. Er erhofft sich einen Bonus bei der Ernte. Die müsste ich dann irgendwo draußen hinterlegen, im Biomüll oder so. Weil: Die Abgabe, wenn auch als Geschenk, ist bislang ja noch nicht erlaubt.

Zurück zu Hause erwarten mich zwei Überraschungen. Die schwächelnde Graspflanze, die ich damals auf dem Balkon ausgesetzt habe, hat überlebt, und macht gar keinen üblen Eindruck. Ich grabe sie aus, stecke sie in einen Topf und will sie mit in die Besenkammer stellen. Aber wohin? Denn als ich die Tür öffne, kommt mir ein einziger Wald entgegen! Highdrun ist quasi explodiert. Die obersten Blätter haften schon am LED-Panel und bleichen aus. Ich verflechte die vier Spitzen miteinander, biege sie vorsichtig hinunter und schräge den Blumenkübel an, damit das ganze Grünzeug wieder etwas mehr Platz hat unter der Kunstsonne.

Ein Freund kommt vorbei, er besucht die Hanfmesse in Berlin, zum Netzwerken, zum Schlauermachen. Könnte ja sein, dass sich das Growhobby bald profitabel professionalisieren lässt. Auf meiner Couch zeigt er ein paar Fotos von zu Hause. Seine Outdoor-Pflanze im Garten sieht aus, als würde sie das Hausdach überragen. Das werden ein bisschen mehr als 50 Gramm, sagt er trocken, und fügt hinzu: Dein Wald in der Besenkammer übrigens auch. Ach du Scheiße. Was mache ich denn mit Highdrun, wenn sie nicht mehr erlaubt ist?

Wer nicht selber anbaut, kann seit dem 1. Juli sein Gras über nicht-gewerbliche Vereine beziehen. Aber die müssen sich bis dato erst einmal durch einen Haufen Papierkram kämpfen, bevor sie einen Haufen Weed anbauen können. Nicht gewerblich – verpasste Chance. Meine Meinung. Warum nicht einfach Gras im Laden kaufen? Der Staat könnte eine irrwitzige Steuer auf Cannabisprodukte erheben und damit Milliarden in den Haushalt spülen. Schließlich sind die Leute doch längst Grammpreise von zehn Euro und mehr gewohnt – und das für Teile einer Pflanze, die wächst wie Unkraut.

Die Regierung ist jedoch erst in der Vorbereitungsphase. Zunächst soll eine zweite Stufe des Gesetzes folgen, bei der der kommerzielle Verkauf in Apotheken oder lizenzierten Geschäften in Modellregionen erprobt werden soll – doch dieses Vorhaben liegt seit eineinhalb Jahren auf Eis. Aus der Koalition wurden zuletzt Stimmen laut, die besagten, der Verkauf in Apotheken und Geschäften werde nie kommen – zu uneinig seien sich die beteiligten Ressorts, zu denen neben dem Gesundheitsministerium auch das Landwirtschafts-, Justiz- und Verkehrsministeriums gehören.

Tagelang passiert nix. Ich entlaube die gelben und hängenden Fächerblätter, um mehr Energie in die Spitzen zu schicken. Und dann blüht es doch. Endlich treiben aus einigen oberen Blattachsen hellgrüne Kelche, aus denen weiße Härchen sprießen. Blütenstempel. Es ist ein Mädchen!

Auch die Ausgesetzte zeigt sich in neuem Gewand. Hellgrüne Knötchen wachsen aus den Achsen der Triebe, wie kleine, runde, übereinander gestapelte Trauben. Oh nein, Pollensäcke! Die Pflanze hat sich auf dem Balkon im Dauerregen und der nächtlichen Kälte des Junis zum Mannsein entschieden. Bevor der Kerl Blödsinn anstellt und anfängt, die kostbaren Blüten von Highdrun zu bestäuben, bringe ich ihn um die Ecke.

Bei Highdrun beginnen indes die Trichome zu tropfen. Das sind die kleinen Harztropfen, in denen der Großteil der Cannabinoide und Terpene steckt. Es verkleistert die Zuckerblätter, das feine Blattwerk, das zwischen den Knospen wächst. Dann verschmilzt eine obere Blüte mit einer unteren, schließt größere Blätter mit ein, die vom Harz umhüllt und zu Knollen geformt werden. Noch sind die Tropfen durchsichtig. Später werden sie milchig weiß, bernsteinfarben, je nachdem, wie weit der Stoff im Harz ausreift.

Phase 5: Die Angst gärtnert mit

Leichtes Unbehagen bemächtigt sich meiner. Highdrun säuft wie ein Loch und will immer weiter wachsen. Sie blüht und wächst, und kein Ende ist in Sicht. Denn Highdrun ist eine Sativa, und diese Grassorte braucht doppelt so lange wie Indica, dafür aber mit atemberaubenden Resultaten. Das könnte noch zehn Wochen so weitergehen.

Mehr und mehr Blüten treiben aus, mehr Zuckerblätter verkleben zu dicken Knollen, auch Buds genannt. Immer mehr Blüten verwachsen miteinander. Auf diese Konglomerate wird es bei der Ernte ankommen. Das Zeug wird am Wohnzimmertisch gezupft und gemörsert, um es in Tüten zu wickeln oder in Pfeifen zu rauchen, mit Tabak oder pur.

Die weißen Blütenstempel verfärben sich von gelb zu rotbraun und verschrumpeln allmählich. Je länger die Buds reifen, desto mehr schwellen die Kelche mit ihren Trichomen an und quetschen Unmengen an Harz aus sich heraus. Highdrun streckt sich weiter ins Licht, doch unter dem Gewicht der harzigen Buds biegen sich die Stiele bedrohlich. Ich knote sie mit Schnüren an der Wand fest und schaffe somit noch ein kleines bisschen Platz unter der Besenkammerdecke.

Die ganze Bude ist in Weedgeruch gehüllt. Und wir sprechen hier von einer einzigen Pflanze aus einem harmlosen kleinen Gartenexperiment. Was zur Hölle hat sich die Regierung denn da gedacht mit ihren 50 straffreien Gramm? Meinen die, ich kann Highdrun einfach befehlen aufzuhören?

Cannabis ist eine Jahrespflanze. Man erntet meist jährlich, und zwar einen Jahresertrag. Dieser wird bei drei weiblichen Pflanzen die 50 Gramm getrocknetes Weed übersteigen, wenn man sich nicht zu doof anstellt.

Phase 6: Erntezeit mit Gummihandschuhen

Was machen denn nun die Leute, die überall ihr Gras ernten und von dem Ertrag erschrocken sind? Schmeißen die alles Übergepäck auf den Müll? Die Leute werden vermutlich heimlich ihre Sorten tauschen oder verschenken, weil sie zu viel geerntet haben. Das gute Zeug muss ja weg, meins auch. Reflexartig mische ich ein neues Düngerkonzentrat an und befülle die Tröpfchenanlage.

Alle, die jetzt ernten wollen, stehen vor ähnlichen Herausforderungen: Zunächst können sie ihren Cannabispflanzen noch einige Tage einen lichtundurchlässigen Sack überstülpen und sie Stress aussetzen, damit sie ihre letzte Energie in die Blüten pressen. Dann müssen sie das Grün mit der Trimmschere zerstückeln, eine klebrige Heidenarbeit! Gummihandschuhe sind nützlich, das Harz bekommt man kaum wieder von den Fingern. Aber was wird aus Highdrun? Wann soll ich ernten? Soll ich überhaupt?

Würde ich, dann wüsste ich erst einmal gar nicht, wo ich in meiner Wohnung überall Wäscheleinen anbringen sollte, um die stinkenden Äste mit ihren Buds kopfüber aufzuhängen und aushärten zu lassen. Es würde locker zwei Wochen dauern, bis die kleinen Zweige so vertrocknet sind, dass sie unter einem leisen Knacken brechen. Danach müsste ich noch die Blütenknollen von den größeren Stielen und Blättern befreien, in Schraubgläser füllen und dunkel lagern. Ich müsste sie immer wieder schütteln und lüften, damit die restliche Feuchtigkeit aus dem Grün entweicht und keinen Schimmel ansetzt. So würde sich in den Gläsern allmählich der überschüssige Zucker und das Chlorophyll abbauen, damit das Gras beim Rauchen weniger kratzt.

Irgendwann würde ich dann auf einem Riesenberg Weed sitzen, bestimmt viel mehr als die in Deutschland erlaubten 50 Gramm. Ohne mich! Ich will nicht ins Gefängnis! Mir persönlich ist das Zeug doch eigentlich gar nicht so wichtig. Ich gärtnere doch einfach nur gern.

Text und Foto: Philipp Brandstädter

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