El Hotzo: „Parteivorsitz? Bloß nicht!“

erschienen in der taz am Wochenende am 8. Mai 2021

Sebastian Hotz aka El Hotzo gelang 2020 im Internet der Durchbruch. Ein Gespräch über Serotonin durch Likes und die größte Krankheit der deutschen Comedy.

Es ist Samstag, wir sitzen mit Bier und Brause auf einer Bank im Volkspark Humboldthain in Berlin. Um uns herum machen Menschen das, was seit einem Jahr alle machen: spazieren gehen. Wir schauen Richtung Wedding und prosten uns zu.

taz am wochenende: Sebastian, du bist mitten in der Pandemie nach Berlin gezogen. Warum bloß?

Sebastian Hotz: Ich habe vorher in Erlangen studiert, gearbeitet – und gekündigt. Hätte ich gewusst, dass ein halbes Jahr später Pandemie ist, hätte ich das nicht gemacht. Aber ich hatte fest vor, wegzuziehen und ein paar Sachen nachzuholen.

Die Freiheit der Großstadt atmen, die Kultur, das Nachtleben …

Genau. Was ich gerade mache, kann ich sowieso von überall machen. Und dann habe ich im Wedding eine günstige Wohnung gefunden. Bisschen runtergerockt, wie der Rest meines Körpers.

Und dort hast du dann die Härte des Weddings kennengelernt.

Geht so. Zurzeit ist es ja eigentlich immer wie sonntagmorgens im Winter. Immer alles zu, immer alles kalt. Ich kenne Berlin nur als kalte Stadt, in der Leute verzweifelt auf der Suche nach Freizeitgestaltung sind.

Spazierengehen und Schwänefüttern sollen hoch im Kurs stehen.

Schwäne sollen sich mal ficken. Das sind durch und durch fiese Tiere. Aber wo waren wir?

Wir wollten etwas über den Menschen hinter dem Twitteraccount erfahren. Ich hatte nach deinen ersten Tweets ja vermutet, du seist eine Frau.

Das höre ich oft und nehme es als Kompliment. Das klingt vielleicht ein bisschen Einhorn-Kondom-feministisch, aber ich finde es schön, wenn mein Humor nicht eindeutig männlich ist. Das habe ich auch gelernt, diesen gewissen Ton, den ich gut finde. El Hotzo ist ein Produkt dessen, was ich die ganze Zeit im Internet konsumiere.

Wie viel El Hotzo steckt denn in Sebastian Hotz? Gib uns einen Richtwert.

20 Prozent. Nicht gerade dann, wenn ich komplett ausgedachten Bullshit rede. Aber ein paar wiederkehrende Themen sind schon als Wahrheit erkennbar: die Unsicherheit, die Selbstzerstörung, ein paar politische Themen und die Beziehung zu meinem Vater.

Was ist mit den anderen 80 Prozent?

Ich bin zum Beispiel viel angreifbarer und verletzlicher als El Hotzo. Ich beschäftige mich zu viel mit Leuten, die mich nicht gut finden. Das würde ich niemals offen zugeben, außer natürlich, die taz redet mit mir. Ich habe sehr gern Menschen um mich, was leider nicht so richtig wahrgenommen wird. In meinem alltäglichen Umgang mit Menschen berührt mich viel. Ansonsten bin ich nicht gerade eine mehrdimensionale Persönlichkeit. Dafür bin ich aber auch nicht der fürchterliche Eigenbrötler, der ich im Internet vorgebe zu sein. Genauso tue ich extrem zynisch und ironisch, was gar nicht stimmt. Aber vielleicht ist das auch nur eine Masche, um mich noch besser zu verkaufen, wer weiß das schon genau.

So könntest du dich jedenfalls prima auf deinem Datingbörsen-Profil beschreiben.

Ich habe panische Angst vor Onlinedating. Da mache ich mich zu sehr angreifbar. Das ist nicht meine Bühne. Das ist, als hätte man das Schlechteste einer Party entnommen. Nicht, dass ich ein großer Fan vom Dating auf Partys wäre. Man macht sich von der Zuneigung des anderen Menschen so abhängig. Und ich finde es weird, Onlinedatinggespräche zu eröffnen. Wie geht das?

Hey du, voll schöne Bilder, wie war dein Wochenende? Aber bis du auf der nächsten Party in der verrauchten Küche Handynummern tauschst, wird es noch ein bisschen dauern.

Im Moment bin ich sehr gern allein in meiner Wohnung und schaue zum siebten Mal die Formel-1-Zusammenfassung von 1991. Ich bin riesiger Formel-1-Fan, ich weiß nicht, warum.

Du twitterst auch viel mit Referenz auf Filme und Musik aus den 80ern. Wie kann das sein? Du bist 25.

Ich bin in einem Dorf in Franken aufgewachsen. Im Jahr 2000 kam dort gerade das an, was der Rest Deutschlands in den 80ern und 90ern erlebt hat. Meine Eltern haben mich nicht sehr viel fernsehen lassen. Das war sehr protestantisch. Stattdessen habe ich viel mitbekommen, indem ich die Fernsehzeitschrift gelesen habe. Ich habe mir alles durchgelesen, was ich nicht schauen durfte.

Du hast „Beverly Hills Cop“, „Karate Kid“ und „Zurück in die Zukunft“ als Programmbeschreibung in der Fernsehzeitschrift gelesen?

Ja. In der TV14 war außerdem immer so ein komischer Wissensteil drin, der war toll. Und dazu noch die Pornowerbung der Jamba-Sparabos auf der letzten Seite. Die fingernagelgroßen Vorschaubilder haben mir schon gereicht. Es war alles toll, was nach nackter Haut aussah.

Du bist weiß, privilegiert, Fan der Formel 1 – und von Arminia Bielefeld. So viel Angriffsfläche, man müsste aus allen Ecken auf dich einhacken.

Aber das mache ich ja schon selbst.

Und die anderen schauen zu …

… und können sich überlegen, ob es sich lohnt, zusätzlich auf mich einzuprügeln. Und es lohnt sich! Denn sich selbst lächerlich machen, hat sich letztlich zu einem Karrieremove verselbstständigt, obwohl das nicht so geplant war. Das tut mir irgendwo leid.

Hast du das in der Schule schon gelernt? Die Schwäche, das Weiche preiszugeben?

Sich selbst verletzen, damit es andere nicht tun? Natürlich! Das Weiche entspringt ja nur aus der Härte anderer. Anstatt auf jemand anderen einzuprügeln, machst du dich halt über dich selbst lustig. In der Hoffnung, dass niemand noch fieser ist. Als Abwehrstrategie kann ich das aber nur bedingt empfehlen.

Visierst du durch diese Verletzlichkeit eine spezielle Zielgruppe an?

Ich möchte am liebsten Leute erreichen, die ich cooler finde als mich selbst. Das funktioniert aber nicht mehr so gut, weil ich Mainstream geworden bin. Die Leute, die cooler sind als ich, lehnen mich mittlerweile ab. Die Menschen, die ich erreiche, sind die, die vor fünf Jahren die „Känguru-Chroniken“ gelesen haben. Das sage ich mit einem sehr abfälligen Tonfall. Das ist ein studentisches Milieu zwischen Anfang und Mitte 20, die späten Millennials, die frühe Gen Z.

Diese Leute müssen das Klima und die Werte unserer Gesellschaft retten. Haben die überhaupt noch etwas zu lachen?

So eine Verantwortung nach außen hin schließt den Spaß an der Selbstzerstörung nicht aus. Du kannst dir ja als 15-Jähriger vor der Mathestunde die erste Xanax einwerfen und trotzdem korrekt gendern.

Worüber hat die Generation davor gelacht?

Die hat unbedarfter gelacht. Ende der 90er gab es mit Harald Schmidt und Stefan Raab zwei Leute, die den gesamten Humor in Deutschland geprägt haben – und dazu absolut keine Haltung brauchten. Das geht nicht mehr, weil sich alle der gesellschaftlichen Probleme bewusst sind.

Das heißt, es gab früher mehr Randgruppenwitze als heute?

Es wurde mehr nach unten getreten. Über deutsche Klischees kann man sich natürlich immer noch lustig machen. Das ist ja auch ein großer Teil meines Humors. Die klassischen A­usländerwitze hingegen funktionieren nicht mehr, weil sich jeder der strukturellen Diskriminierung bewusst ist. Meist ist es zu blöd, sich schlicht über Äußerlichkeiten lustig zu machen.

Och, das geht schon manchmal.

Es kommt auf die Machtstruktur an. Wenn du den Innenminister von NRW als verwachsene Eule bezeichnest, dann ist das schon witzig, weil die Eule eindeutig mächtiger ist als du.

Darf man sich über Verschwörungen und ihre Fans lustig machen?

Nicht über die Einzelpersonen. Aber unbedingt über die große Erzählung, die darüber steht und eigentlich immer offen antisemitisch und rechts ist. Das muss man kritisieren. Es bringt aber nichts, diejenigen als dumm zu bezeichnen, die daran glauben. Da kann man genauso gut in Naziforen die Kommasetzung korrigieren. Das ist zu plump.

Du meinst, es kann mal passieren, versehentlich in Verschwörungsgefilde abzudriften?

Das ist mir selbst schon passiert, der Youtube-Algorithmus ist dafür verantwortlich. 2012 habe ich mir unglaublich viele Clips zum Weltuntergang angeschaut. Oder darüber, dass Aliens die Pyramiden gebaut haben.

Worüber lachst du selbst am meisten?

Meine Eltern sind so anstrengende Kabarett-Leute. Da wollte ich erst mitmachen. Ich habe „Die Anstalt“ geguckt, weil ich mich schlau fühlen wollte. Richtig lustig fand ich das nie. Stattdessen habe ich Serienformate gemocht, in denen nicht nur mit Punchlines gearbeitet wird, sondern auch mit Situationskomik. Slapstick-Humor ist in Deutschland unterrepräsentiert. Ich finde es unglaublich lustig, wenn jemand hinfällt. Das ist eine völkerverbindende Art des Humors.

Und worüber lachst du im Internet?

Ich kann ja mal meine Facebook-Gruppen vorlesen: tolle Koch- und Backrezepte mit drei Ausrufezeichen, Mallorca 2021, Trucker halten zusammen, Dogspotting Society, Goldstrand Forum Golden Sands, Böhse-Onkelz-Tattoos, Tupperware-Gruppe Deutschland, Waltz – Wanderschaft – Traditionelle Reisen von Handwerkern. Ich liebe die Kommentare dort. Ich interessiere mich einfach für Leute.

Du sendest jeden Tag zwanzig Tweets, das muss doch anstrengend sein.

Nein, das Twittern macht mir ja Spaß. Und den Gedanken denke ich sowieso. Da ist es egal, ob ich den jetzt noch ausformuliere oder mir eine Pointe dazu überlege. Natürlich habe ich mir dieses Denken antrainiert. Mein Gehirn ist inzwischen abhängig davon, dass da regelmäßig ein paar Likes reinschneien. Twitter und Instagram sind unglaublich wichtig für mein Ego als Serotoninquelle. Das mache ich für mich, als richtige Arbeit nehme ich das nicht wahr.

Trotzdem warten die Fans auf neue Witze. Die Zahl deiner Follower ist pandemisch exponentiell durch die Decke gegangen. Wann hast du gemerkt, dass du selbst mit Lustigsein Erfolg haben kannst?

Vor einem Jahr wurde mir klar, dass so etwas passieren könnte. Da hat mich das Vice-Magazin interviewt, weil ich 20.000 Follower hatte. Das war ein komischer Moment in meiner Eigenwahrnehmung. Da bekam ich so langsam das Gefühl: Hier könnte etwas wachsen. Es könnte sein, dass ich damit meinen Lebensunterhalt bestreiten könnte.

Das Pandemiejahr war also nicht nur schlecht.

Es tut mir unglaublich leid, aber 2020 war ein geiles Jahr für mich. Ich habe nun die Freiheit, kreativ zu schreiben und unter dem größtmöglichen Spaß dabei noch ein paar Euro zu verdienen. Daran hatte ich selbst nicht mehr geglaubt, das erfüllt mich mit seltsamer Ehrfurcht und Stolz. Das aber dann ins Verhältnis zu setzen, tut weh und fühlt sich falsch an: sich über 2020 freuen, während andere weinend von ihren Schichten nach Hause kommen. Im Sommer hatte ich jedenfalls mehr Follower, als es Coronafälle in Deutschland gab, so um die 200.000. Das ist mittlerweile leider anders.

Weißt du eigentlich immer, wie viele Follower du hast?

Aktuell über 700.000 auf Instagram und irgendwas mit 140.000 auf Twitter.

Was doppelt so viel ist wie Laschet und Söder zusammen.

Die haben ja auch keine Inhalte, die sie teilen könnten.

Schon mal über einen Parteivorsitz nachgedacht?

Bloß nicht! Das ist die größte Krankheit deutscher Comedy. Kaum hast du einen politischen Witz gemacht, kommen 20 Leute, die sagen: Mach du doch Bundeskanzler, wir würden dich wählen! Das ist nichts für mich. Ich mache destruktiven Bullshit. Von konstruktiven Inhalten bin ich noch ein gutes Stück entfernt.

Deine Umfragewerte wären aber nicht schlecht.

Die sinken auch wieder. Ich agiere in einer geschlossenen Blase, die an ihre Grenzen stößt. Ich bin mir bewusst, dass der Hype abflauen wird. Wie viele Leute sollen mir denn bitte schön noch folgen.

Fühlst du dieser Blase gegenüber eine Verpflichtung, jede Stunde einen neuen Joke abfeuern zu müssen?

Manchmal, aber eigentlich ist das blödsinnig. Wenn ich mal keine Muße oder keine Zeit habe, dann mach ich halt nichts. Meine Followerschaft zahlt mir nichts.

Aber die Follower schenken dir Likes. Ab wie vielen gibt sich dein Serotoninspiegel zufrieden?

25.000 Likes auf Twitter, 150.000 auf Instagram, das sind Werte, bei denen ich sage: Heute war ein guter Tag. Aber leider kicken die Likes nicht mehr so gut. Außerdem liegt das, was ich witzig finde und was andere witzig finden, oft weit auseinander.

Pack mal den Werkzeugkasten aus: Worüber lachen wir?

Aktuelles Thema, flaches politisches Statement, verbindende Allgemeinplätze, auf die sich alle einigen können. Auch der verweisende, referentielle Humor ist beliebt. Deshalb habe ich auch den Sohn erfunden. „K1 hört nicht auf zu wichsen.“

Ach, du hast gar keinen Sohn?

Nein, ich habe keinen Sohn. Das ist ein Twittermeme. K1 ist mal 7, 12 oder 31 Jahre alt. Sieben ist das tollste Alter. Du kannst schon lesen und bist schon ein bisschen geschäftsfähig, weil du Dinge kaufen kannst. Und mit den Witzen darüber kann man sich gut über die twitternden Eltern lustig machen.

Ist es wichtig für dich, wer dir Likes schickt?

Mittlerweile nicht mehr. Früher fand ich es uneingeschränkt cool, wenn mich Böhmermann retweetet hat. Was, ich? Auf dieser Plattform? Das war damals ein großes Ding. Mittlerweile ärgere ich mich eher über die, die mich retweeten, ohne dass ich das möchte.

Inzwischen bist du Autor für Böhmermanns „ZDF Magazin Royale“. Hattest du Angst, als du Witzigsein zum Beruf gemacht hast?

Ich hatte große Angst, dass ich dem Druck nicht standhalte. Dass ich der klassische Hochstapler bin und nicht abliefern kann. Die Angst ist noch nicht komplett weg, aber bislang bin ich noch selbstbewusst genug.

Auch selbstbewusst genug, um mit Shitstorm umzugehen?

Ja, davon bekomme ich ja genug ab. Und oft ist der auch gerechtfertigt. Ich kann die Kritik, die die Leute äußern, gut annehmen. Dann lösche ich den betreffenden Tweet. Manchmal habe ich nicht genügend nachgedacht und reflektiert, was ich sage. Manchmal bekomme ich aber auch nur stumpfen Hass ab. Das ist die umgedrehte Wirkung des Serotonins der Likes. Auch daran gewöhnt man sich.

Hast du aus der Kritik schon gelernt?

Die hilft mir sehr. Ich mache mich zum Beispiel nicht mehr über Selbstverletzung lustig. Zwar ist das für mich ein Thema, worüber ich lachen kann. Aber anderen, die das lesen, kann das wehtun. Also lasse ich das.

Traust du dich eigentlich noch in dein Heimatdorf, als gottloser, linksversiffter, sexuell desorientierter Verräter aus der Großstadt?

Was wollen sie denn machen, mir aufs Maul geben? Ich mache mir keine Sorgen. Meine Bekanntheit ist in der Pandemie entstanden. Und in der Pandemie gibt es keine Dorffeste. Aber ich glaube schon, dass das noch unangenehm wird. Ich hoffe, dass ich meinen Eltern keine Unannehmlichkeiten bereite. Falls es doch so sein sollte: Jetzt sind wir quitt!

Sebastian Hotz hat den nächsten Termin. Außerdem müssen wir nach Bier und Brause beide dringend aufs Klo. Wir verabschieden uns, Minuten später twittert El Hotzo: „Frau Merkel, öffnen Sie die Kneipen oder legalisieren Sie das Wildpinkeln.“

Interview: Philipp Brandstädter

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