Gleich lange Linien erscheinen unterschiedlich lang. Starre Muster beginnen sich zu bewegen. Optische Täuschungen spielen unseren Augen Streiche. Doch sie beweisen nicht, wie schlecht unsere Augen sind. Sondern vielmehr, wie schnell und trickreich unser Gehirn arbeitet.
Ein Riese und ein Zwerg stehen in einem Raum. So sieht das jedenfalls auf dem Bild aus. In Wahrheit sind Riese und Zwerg aber nahezu gleich groß. Eine so genannte optische Täuschung spielt uns hier einen Streich. Von diesen und anderen Täuschungen lassen sich Leute gleichermaßen verwirren wie faszinieren. Doch wie entstehen optische Täuschungen überhaupt?
Die Welt, in der wir leben, nehmen wir mit fünf Sinnen wahr. Wir tasten, riechen, schmecken, hören – und sehen. Unsere Augen sehen eine begrenzte Bandbreite an Farben, Helligkeiten, Kontrasten und Größen. Außerdem sind die Augen dafür gebaut, eher Bewegungen als Unbewegliches wahrzunehmen. Was es um uns herum zu sehen gibt und was wir tatsächlich sehen, sind zwei unterschiedliche Dinge. Beim Wahrnehmen trennen wir wichtige Infos von unwichtigen. Dafür zuständig ist unser Gehirn.
Das Hirn lernt
„Welche Informationen für uns wichtig sind, lernt das Gehirn nach und nach“, erklärt der Fachmann Michael Bach. „Es verarbeitet neue Eindrücke und vergleicht sie mit Erfahrungen, die wir bereits gemacht haben.“ So müssen wir uns etwa nicht lange wundern, wenn wir ein sehr heißes, rötlich loderndes, knisterndes Etwas bemerken. Wir wissen sofort: Feuer! Und können zur Not blitzschnell handeln.
Diese Bewertungen erledigt unser Gehirn meist sehr zuverlässig. So wissen wir, dass etwa ein Haus, das in unserem Auge klein erscheint, nicht tatsächlich klein sein muss. Es kann auch einfach weiter entfernt sein. „Durch diese Leistung unseres Gehirns können wir überhaupt erst räumlich sehen“, sagt der Experte. Ohne dass wir uns über die wichtigen Unterschiede überhaupt Gedanken machen müssten.
Ab und an jedoch sehen wir Dinge, die nicht mit unserer erfahrenen Wirklichkeit übereinstimmen. Mal spiegeln sich Dinge ungewohnt, mal verwirrt uns ein bestimmter Blickwinkel. Plötzlich verändern Dinge ihre Größe, Farbe und Form. Oder bewegen sich scheinbar, obwohl sie das nicht sollten. Dann spricht man von optischen Täuschungen.
Alles total schief
So wie bei dem Raum mit dem Riesen und dem Zwerg. Dort sind nicht etwa die beiden Gestalten ungewöhnlich. Stattdessen ist es der vermeintlich normale Raum. Der Boden, die Wände, die Decke – alles ist total schief und verzerrt! Nur aus einem bestimmten Blickwinkel sieht man den Raum wie gewohnt rechtwinklig. Tatsächlich ist die eine Zimmerecke aber an der einen Stelle weiter von uns entfernt als die andere. Und somit ist der Zwerg nicht etwa klein, sondern einfach nur weiter weg. Der Riese hingegen steht näher dran am Betrachter. Und erscheint dadurch größer.
„Eine optische Täuschung zeigt uns nicht, dass uns unsere Augen betrügen“, sagt Michael Bach. „Sie zeigt uns vielmehr, wie trickreich unser Sehsinn mit unserem Gehirn verbunden ist. Auf diese Weise finden wir uns möglichst schnell in der Welt zurecht.“
Der blinde Fleck
Übrigens: Manchmal muss das Gehirn schummeln, damit wir uns in unserer Welt zurecht finden. In unserem Sichtfeld gibt es zum Beispiel eine Stelle, die unser Auge niemals sehen kann: den blinden Fleck.
Das ist die Stelle in unserem Auge, in dem unser Sehnerv aus dem Augapfel in Richtung Gehirn führt. Diese Stelle hat keine Sinneszellen, mit denen wir optische Eindrücke verarbeiten können. An diesem kleinen Fleck sind unsere Augen blind. Eigentlich müssten wir also je Auge eine Stelle im Sichtfeld wahrnehmen, die wir nicht sehen können.
Doch sind unsere Augen gesund, dann gleicht unser Gehirn diesen blinden Fleck aus. Wir bemerken ihn gar nicht. Dass es den Fleck trotzdem gibt, kannst du aber beweisen: Male mit Filzstift zwei Punkte mit etwa zwölf Zentimetern Abstand. Die Punkte können etwa so groß sein wie ein Kästchen im Matheheft.
Halte nun das linke Auge zu und schaue mit dem rechten Auge auf den linken Punkt. Dann halte das Papier etwa eine Armlänge von dir entfernt. Gehst du nun etwas dichter an das Papier heran, so verschwindet der rechte Punkt plötzlich! Dann hat dieser Punkt den Bereich des Sichtfelds erreicht, den wir durch den blinden Fleck eigentlich gar nicht sehen.
Text: Philipp Brandstädter,
zunächst erschienen über dpa Nachrichten für Kinder, September 2018
Quellen: