Stare am Alexanderplatz

Zugvögel mal anders

Stare haben es sich in vielen Städten gemütlich gemacht. Gut versorgt und geschützt überwintern sie in Hallen und anderen Gebäuden, anstatt in den Süden zu ziehen.

In der Bahnhofshalle klingt es wie in einem Zoo. Aus allen Ecken ist lautes Gezwitscher zu hören. Die meisten Leute an den Bahnsteigen freuen sich über das Konzert. Sogar dann, wenn sich einer der frechen Vögel über ein Brötchen oder Hörnchen hermachen will. Denn bei den Tieren handelt es sich nicht um Spatzen, Tauben oder Krähen, die in Städten überall zu sehen sind.

Am Alexanderplatz und anderen Bahnhöfen von Berlin sind Stare eingezogen. Einige Schwärme haben es sich unter den beleuchteten Dächern gemütlich gemacht. „Seit ein paar Jahren leben die Stare schon in der Bahnhofshalle“, sagt Fachmann Derk Ehlert. „Inzwischen sind die hübschen Vögel richtig zutraulich geworden.“ Singend tippeln sie auch auf den Bahnsteigen herum und kommen den Fahrgästen richtig nahe. Mal setzen sie sich sogar auf die Schultern einiger Leute und fressen ihnen aus der Hand.

Eigentlich sind Stare Zugvögel und fliegen im Herbst in den warmen Süden. „Aber einige Gruppen bleiben wegen der milden Winter hier“, erklärt Derk Ehlert. Schließlich finden die Stadt-Stare auch im Winter Futter. „Neben Insekten und Früchten fressen sie inzwischen auch Brotkrümel und Dönerstückchen. Es ist spannend zu beobachten, wie sich die Tiere anpassen.“

Töne aus der Umgebung

Damit meint der Experte nicht nur den Speiseplan der Stare. Die Singvögel zwitschern auch nach, was sie in ihrer Umgebung hören. „Am Alexanderplatz gibt es einige Vögel, die die Signaltöne von den abfahrenden Bahnen nachmachen“, erzählt Derk Ehlert. Einige Stare würden sogar in die S-Bahnen fliegen und bis zur nächsten Station fahren. Da bekommt der Begriff „Zugvogel“ doch eine ganz neue Bedeutung.

Aber warum haben sich die Stare die belebte Bahnhofshalle und keinen ruhigeren Ort ausgesucht? Der Experte erklärt: „Die Halle bietet Schutz vor Kälte und Greifvögeln. Wanderfalken und Sperber trauen sich nicht in den Bahnhof.“ Und es gibt noch einen weiteren Grund: Wenn es draußen dunkel wird, geht in der Halle das Licht an. „Durch die Beleuchtung verlängert sich der Tag der Stare. Sie müssen nicht im Dunkeln ausharren, sondern können auch nachts auf Futtersuche gehen. Auf diese Weise geht es für die Vögel gestärkt in den Frühling.“

So gut haben es bei uns allerdings nicht alle Stare. Oft fehlt es den Tieren an Bruthöhlen und Futter. Sie finden zu wenig Insekten, weil die Landwirte so viel Pflanzenschutz-Mittel verwenden. Und aus den Gärten werden sie oft verscheucht, wenn sie ein paar Kirschen stibitzen wollen. Fachleute wünschen sich deshalb, dass unsere Stare besser geschützt werden.

Kunstwerke am Himmel

Übrigens: Stare sind für ihren Flug in Schwärmen bekannt. Wenn sie sich in der Luft sammeln und gemeinsam eine andere Richtung einschlagen, zeichnen sie regelrechte Kunstwerke in den Himmel. Doch warum machen die Tiere das?

„Der Schwarm beschützt den Vogel vor Angreifern“, erklärt Derk Ehlert. Für Greifvögel etwa ist es schwierig, ein einzelnes Tier in dem Gewirr auszumachen. Nicht nur Vögel schützen sich auf diese Weise. Auch einige Fischarten sind in Schwärmen unterwegs.

Sprenkel auf der Brust

Und woran erkennt man Stare aus der Nähe? Ein deutliches Zeichen sind die weißen Punkte auf der Brust. Die kommen von ehemals dunklen Federn, die verschlissen sind. Ältere Stare haben daher meist mehr Sprenkel. Die Altvögel haben auch mehr Erfahrung im Gesang. Mit der Zeit ahmen die immer mehr Geräusche nach: den Gesang anderer Vögel, das Läuten einer Kirchenglocke, das Quietschen einer Tür. Je mehr Lieder Stare vortragen können, desto mehr machen sie Eindruck auf die Weibchen.

Das Ganze hat für die Weibchen auch einen Sinn: Denn alte Vögel haben mehr Erfahrung als jüngere. Sie kennen sich besser in ihrer Umgebung aus. Sie wissen, wo es Futter zu holen und Plätze zum Verstecken gibt. Das ist wichtig, um den Nachwuchs großzuziehen.

Text und Foto: Philipp Brandstädter,
zunächst erschienen über dpa Nachrichten für Kinder, Januar 2023

Quellen:

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