Endlich wieder Pumpen

Mensch braucht Maschine

erschienen in der taz vom 29. Juni 2021

Während des Lockdowns wurde unser Autor vom Schrank zu formlosem Brei – weil die Fitnessstudios zu waren. Jetzt ist sein Leben wieder schön.

Meine kostbaren Muskeln. Die über Jahre mühsam ausdefinierten Arme und Beine, der Rücken, mein Hintern, das Waschbrett. Das alles löste sich nicht einfach in Luft auf, nein, es verwandelte sich in formlosen Brei! Es war zum Heulen.

Ob ich mich vielleicht mal nicht so anstellen könne, fragte mein Mitbewohner, der sich am liebsten zu Dingen äußert, von denen er keine Ahnung hat (Anm. der Redaktion: Pfff!). Ob nicht vielleicht ein paar Leute gerade ein paar größere Probleme hätten, gab er zu bedenken. Ob ich nicht vielleicht einfach ein paar Liegestütze machen könne. Natürlich könnte ich.

Machte ich ja auch, ununterbrochen. Neben den Push-ups außerdem Pull-ups, Burpees, Squats und Single Arm Turkish Sit-ups, die Sets mit Seil und Therabändern, mit Nudelholz und Wasserflaschen, die Klimmzüge an der Stange, mit denen ich nach und nach meinen Türrahmen verzog. Doch nichts davon ersetzt eine 150-Kilo-Langhantel.

Ohne die gewohnten Reize bauten sich meine Muskeln ab, verwandelten sich in Fett. Weniger Muskeln verbrennen weniger Kalorien, der Energiebedarf sank, der Hunger blieb, mein „If it jiggles it’s fat“-Shirt begann zu spannen, ich fing an wie ein Schwein auszusehen.

Was zum Fick…?

Social Distancing: kein Thema für mich. Mit meiner Wampe traute ich mich sowieso nicht mehr unter Leute. Freunde schickten mir Bücher über Selbstliebe und Bodypositivity. Die Hardcover über 300 Seiten benutzte ich zum Curlen, den Rest vertickte ich auf Momox.

Und was entschied die Regierung? Öffnung der Friseurläden. Aus Gründen der Würde. Was zum Fick war denn mit meiner Würde als Schrank? Was war mit meinem mentalen Ausgleich, meiner Gesundheit? Ich schnaufte beim Treppensteigen, musste mich beim Schnürsenkelbinden hinsetzen und bekam Rückenschmerzen vom Geschirreinräumen.

Inzwischen sind die Studios endlich wieder offen. Mein Fitti hat es nicht geschafft. Das mit den Einschusslöchern in der Außenfassade, wo Bushido obendrüber sein Tonstudio hatte und sich ab und zu mal im Freihantelbereich blicken ließ. Der Laden ging pleite, weil sich zu viele erdreistet hatten, ihre Verträge einzufrieren und ihre Beiträge zurückzufordern.

Die nächste Fitte ist zum Glück nur ein kurzes Intervalltraining entfernt. Es ist total easy geregelt: Ich muss nur in der Schlange vor der Teststation ein bisschen drängeln, um nicht zu spät an den Geräten zu sein, die ich vorab für einen kurzen Slot online buche, bevor das Studio dann zum Lüften geschlossen wird.

Die Schließfächer sind noch alle verriegelt und die Nasszellen dicht, aber sei’s drum: Endlich wieder bis zum völligen Muskelversagen pumpen und meinen schweren Atem in die Maske grunzen, die sich, vom Schweiß vollgesogen, anfühlt, als hätte mir einer einen feuchten Teebeutel ins Gesicht geworfen. Shut up & squat!

Text und Bild: Philipp Brandstädter

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