Thema „Zukunft der Arbeit“

erschienen im Focus vom 22. April 2017, 1. Preis Schreibwettbewerb Focussiert

Tageslicht brennt sich durch verklebte Augen, Kopfschmerzen hämmern durch die Schläfen. Ich blinzle aufs Fon, Mittwochmittag, checke die Bankroll App, fuck. Wie viel Kohle habe ich gestern schon wieder gelassen – und vor allem: Wer hat die jetzt? Setze die Gläser auf, scrolle durch die Fotos von gestern in der Liveview-Chronik, lauter unbekannte Gesichter, drei Freundschaftsanfragen. Der Unterarm voll mit Stempeln von Clubs, Casinos und Bars. So langsam dämmert’s. Im Videochat klopft Eva an. Sie sitzt schon im Büro, in Montevideo muss es noch vor neun sein, hebt eine Augenbraue und fragt: „Na, immer noch im Bett?“

Ja, immer noch. Das BGE hat zwei Sorten Mensch geboren: Die einen ergreifen die Chance. Die anderen versenken sie mitsamt Chipskrümeln in der Bettritze. Dabei waren wir zuerst alle begeistert. Wir konnten gar nicht glauben, dass wir einfach aufhören zu arbeiten und der Staat trotzdem zahlt. Dann gingen wir plündern. Neue Klamotten, neuer 3D-Drucker, pervers große Glotze. Die Dronenpost im Dauereinsatz, die Kaufhäuser in die Knie geshopt, Weihnachten am Limit.

Bedingungsloses Grundeinkommen 2030

Wir konsumierten uns taub oder verspielten das Geld. Vor allem die, die von Maschinen ersetzt wurden. Die Fahrer, Boten, Händler, die Handwerker, Bürokräfte und Fabrikarbeiter. Viele nahmen sich Zeit für die Familie. Viele verreisten. Malle, Ibiza, Afghanistan: ausgebucht. Andere wollten noch mehr und wechselten den Job. Entweder nah an der Maschine – coden, warten, erforschen. Oder nah am Menschen – lehren, pflegen, therapieren.

Eva steht vor dem Bett, inmitten von Kaffeetassen, Aschenbechern und Pizzakartons, als sei sie leibhaftig hier. Der neue Holobeamer ist jeden Bitcoin wert. „Hast du dich mal bei dem Räumungsdienst gemeldet?“, fragt sie am anderen Ende der Welt. „Die zahlen doch ein irres Honorar.“ Der Arbeitsmarkt ist tatsächlich irre. Keiner weiß, welche Firma als nächstes abwandert oder welcher Berufszweig endgültig von der KI übernommen wird. Andere zahlen ungeheure Summen für ungeheure Drecksjobs, die Maschinen noch nicht erledigen können und Menschen nicht erledigen wollen. Jedenfalls nicht ich. Ich will etwas bewegen.

Dieser Typ vom Pokertisch gestern, was hat der noch erzählt. Von diesem neuen Projekt, mit konstruktivem Schreiben und freier Bildung und Kultur im Netz und so. Etwas echt Großes. Die ganze Sache mit der Technisierung und dem Grundeinkommen ist doch die Steilvorlage für uns, hat er gesagt. Für die bessere Idee. Was war das für ein Typ? Ich suche in den Gläsern nach seinem Profil.

„Du kannst die Zeit auch nutzen und umschulen“, sagt Eva. „Und oben mitspielen.“ So wie sie, unbemannte Abwehrsysteme coden. Ich ignoriere Evas vorwurfsvollen Ton und frage, ob sie bald nach Hause kommt. „Ich will nach der Sache hier noch mit dem Team durch die Staaten.“ Die Flüge nach Deutschland seien ohnehin gerade teuer. Die Airlines hätten die Preise ans BGE angepasst. Ich frage, was der Scheiß soll und fuchtele eine halbvolle Bierdose vom Nachttisch. Sie sagt: „Komm du erstmal klar.“

Scheiß Videochat. Scheiß Fortschritt. Scheiß Grundeinkommen. Es sollte die Welt gerechter machen. Jetzt öffnet sich die nächste Kluft. Auf der einen Seite die, die etwas aus ihrem Leben machen. Auf der anderen die, deren Frau mit einer Horde notgeiler Businesskasper nach Vegas durchbrennt.

Text: Philipp Brandstädter

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