In die Magnet-Röhre geschaut

In die Magnet-Röhre geschaut

Ein MRT verhilft uns zu einem Einblick in das Innere eines Körpers. Das Gerät kann sozusagen Fotos von unseren Organen machen. Das funktioniert durch eine knifflige Technik.

In einem medizinischen Labor gibt es einen ungewöhnlichen Raum. Darin kann man eine riesige, an beiden Enden offene Röhre sehen. Die erzeugt etwas, das man nicht sehen kann: eine enorme Kraft. Wenn sich ein Mensch in die Maschine legt, kann sie Fotos vom Inneren des Menschen machen. Etwa vom Gehirn oder anderen Organen. Dieses Gerät nennt man MRT. Doch wie funktioniert diese Maschine? Was hat es mit der unsichtbaren Kraft auf sich? Und was bedeuten die drei Buchstaben? Das kann der Physiker Robert Trampel erklären.

Das M

„Die Kraft, die das MRT erzeugt, ist ein unheimlich starkes Magnetfeld“, sagt Robert Trampel. Das M steht also für Magnet. „Dieses Feld beeinflusst die Wasserstoff-Atome in unserem Körper.“ Das sind winzige Teilchen, die man nicht einmal unter einem Mikroskop sehen kann. Jedes Atom trägt einen Kern in sich. Und der kann sich wie ein winziger Magnet verhalten.

Liegen wir in der Röhre, so ordnen sich die Minimagneten unserer Wasserstoffkerne dem Magnetfeld des MRT an. Nun kommt eine weitere, für uns unsichtbare Energie zum Einsatz: Radiowellen. Diese Wellen lenken die Atomkerne aus ihrer kurz zuvor eingenommenen Stellung heraus. Aber wozu der ganze Hokuspokus?

Das R

Wenn die Radiowellen abgeschaltet werden, passiert folgendes: „Die Atomkerne springen in ihre ursprüngliche Lage zurück, während sie sich um ihre eigene Achse drehen“, erklärt Robert Trampel. Man kann das mit der Drehbewegung eines Kreisels vergleichen. „Durch diese Bewegung erzeugen die Kerne einen winzigen elektrischen Strom.“ Und den kann man mit hochempfindlichen Antennen messen.

Steht das R im MRT nun für die Radiowellen? Nein. Das R steht für Resonanz. Das Wort bedeutet etwa so viel wie Schwingung. Damit bezieht sich der Buchstabe auf die Minimagneten, die durch ihre Bewegung ein Signal erzeugen. Diese Signale werden an einen Computer gesendet. Der setzt sie schließlich zu Aufnahmen vom Inneren eines Körpers zusammen. Unterschiedliche Signale werden dann etwa in unterschiedlichen Grautönen angezeigt.

Das T

Ob längs, quer oder schräg – die Bilder aus dem MRT zeigen das Gewebe eines Körpers in ganz unterschiedlichen Ebenen. So lassen sich etwa die Strukturen und Beschaffenheiten von einem Organ Schicht für Schicht darstellen. Dafür werden weitere Magnetfelder benötigt, die sich in alle Richtungen steuern lassen. So erhalten die Forscher eine scheibchenweise Darstellung des untersuchten Organs. Das ist bei Medizinern auch unter dem griechischen Fachbegriff Tomographie bekannt. Das T steht für Tomographie.

MRT ist also die Abkürzung für Magnet-Resonanz-Tomograph. Das Gerät ist gut geeignet, um in unser Inneres hineinzugucken. Es macht Aufnahmen von unseren Organen, Gelenke oder auch Blutgefäßen. Forscher und Ärzte gucken sich diese Bilder an, um etwa eine Krankheit festzustellen.

Ab in die Röhre

Wer sich in einem MRT untersuchen lässt, muss ein paar Dinge beachten. Sie alle haben mit dem unheimlich starken Magnetfeld zu tun, das das Gerät umgibt. Alle magnetischen Gegenstände dürfen nicht in die Nähe des Felds geraten.

Ohrringe, Brillen, Haarspangen, Münzen, Gürtel, Armbanduhren, Ketten, und natürlich auch Smartphones – all diese Sache müssen vor einer Untersuchung im MRT abgegeben werden. Denn sie würden durch das Magnetfeld angezogen und könnten Schaden anrichten.

Der MRT befindet sich wegen der starken magnetischen Eigenschaften in einem eigenen Raum. Der ist durch eine Glasscheibe einsehbar. So können Ärzte und Forscher die Röhre und Patienten beobachten.

Der Patient in der Röhre muss nun eine Weile ruhig liegen bleiben. Er darf sich nicht bewegen, damit die Aufnahmen des MRT nicht verwackeln. Beim Aufzeichnen der Bilder macht das Gerät einen dröhnenden Lärm. Deshalb trägt man in der Röhre Ohrstöpsel. Oder Kopfhörer, über die man statt des Krachs Musik hören kann.

Bis zu einer Stunde kann so eine Aufzeichnung im MRT dauern. So lange reglos in einer Röhre zu liegen ist nervig. Aber die Untersuchung ist ungefährlich und tut kein bisschen weh.

Abgeschottet von der Außenwelt

Meterdicke Wände aus Beton umschließen ein MRT. Diese Wände sind nicht etwa dazu da, um das Labor vor Einbrechern zu schützen. Oder, dass jemand ausbricht. Vielmehr schirmen sie die empfindlichen Messgeräte des MRT von fremden Signalen ab.

Die Signale aus unserem Körper, die das MRT eigentlich messen soll, sind sehr schwach. Funkwellen von Radio, Fernsehen und Handys sind viel stärker. Sie würden die wesentlichen Signale überlagern. Und das MRT könnte keine Bilder von unserem Inneren aufzeichnen.

Umgekehrt ist das magnetische Feld des MRT so stark, dass elektrische Geräte in der unmittelbaren Umgebung gestört oder beschädigt werden könnten. Das Magnetfeld des MRT ist zehntausende mal so stark wie das Magnetfeld der Erde! Dem menschlichen Körper macht das allerdings nichts aus.

Text: Philipp Brandstädter,
zunächst erschienen über dpa Nachrichten für Kinder, September 2018

Quellen:

MRT erklärt

MRT erklärt

Invasion der anderen Art

Invasion der anderen Art

erschienen in der taz, die Tageszeitung, am 12. August 2023

Durch den Menschen eingeschleppte Tier- und Pflanzenarten mischen Ökosysteme auf, der Klimawandel begünstigt die Ausbreitung noch. Welche richten Schaden an?

Die Eindringlinge haben einen weiten Weg hinter sich gebracht und machen sich nun heimlich bei uns breit. Werden mehr und mehr, bedrohen, was wir liebgewonnen haben, zerstören die Umwelt. Klingt nach AfD und vergifteter Einwanderungsdebatte. Nur sind in dieser Erzählung Pflanzen und Tiere gemeint.

Ob Japanischer Knöterich, Kaukasischer Bärenklau, Chinesischer Götterbaum oder die US-Importe Sumpfkrebs, Ochsenfrosch und Waschbär: Sie alle gelten als gefährliche Fremdlinge. Über diese sogenannten invasiven Arten wird genauso lange schon gestritten, wie wir Menschen uns die Erde untertan machen. Erst wird Land erobert und dann verteidigt, gegen alles, was auch ein bisschen Land wollen könnte.

Laut einer aktuellen Studie könnten eingeschleppte Tier- und Pflanzenarten in der EU bis 2040 für Kosten in Höhe von 142,73 Milliarden Euro sorgen. Grund dafür sind unter anderem Ernteverluste und Belastungen des Gesundheitssystems durch neue Krankheiten. Der Klimawandel beschleunigt diese Entwicklung und heizt auch einen Streit an: zwischen denen, die die unkontrollierte Verbreitung der Arten verhindern wollen, und denen, die finden, dass in den Lauf der Dinge nicht eingegriffen werden sollte.

Ökologische Verschränkung

Im Garten von Robin König fliegt und zirpt und flattert es, wo man nur hinsieht. Die blauen Hüllblätter des groß gewachsenen Alpenmannstreus – ursprünglich aus dem Mittelmeerraum und seit dem 16. Jahrhundert auch in Deutschland kultiviert – sind schon fast abgeblüht. Trotzdem umschwirren ihn derart viele Wildbienen, Wespen, Hummeln, Käfer und Fliegen, dass die Augen nur ein diffuses Flimmern zahlloser schwarzer Punkte ausmachen wollen.

Wie immer in diesen Sommertagen sieht es so aus, als könnte es jeden Augenblick regnen. Um das kostenlose Wasser direkt dorthin zu leiten, wo es benötigt wird, nämlich an die Wurzeln des Alpenmannstreus, hat der 24-jährige Hobbygärtner mit dem Spaten rundherum ein Becken ausgestochen. Dort unten wächst und blüht, was vorher noch schwer zu kämpfen hatte, denn bei dem Brandenburger Bodenmix aus Sand und Lehm beginnt erst tief die fruchtbare Erde. Danach will er sich endlich dem Japanischen Knöterich widmen. Denn: „Wie das Zeug schon wieder eskaliert ist, das ist nicht mehr feierlich“, sagt er.

In kürzester Zeit hat sich das bambusartige Ungetüm vom Gartenzaun über die anliegenden Beete erstreckt. Diese Auswüchse müssen weg. „Der Knöterich ist die wirtschaftlich teuerste Pflanze, die es gibt“, sagt König. Aber einfach mit der Machete in das Gestrüpp einfallen und die wuchernden Stängel zurückschneiden, reicht nicht.

Echt kein Spielzeug

Den müsse man „abfolieren“, also schwarze Folie über den Boden legen, damit kein Licht mehr rankommt. Sonst gebe die Pflanze wachstumshemmende Bitterstoffe an ihre Umgebung ab. Das Ding sei „eine ökologische Katastrophe“ und „echt kein Spielzeug“. König ist sich sicher: Würde er hier nicht eingreifen, würde gar nichts anderes mehr wachsen.

Der Knöterich ist eine nicht einheimische, eine gebietsfremde Art. Von der spricht das Bundesnaturschutzgesetz dann, wenn sie weder ursprünglich aus Mitteleuropa stammt, noch seit über 100 Jahren als verwilderte Art vorkommt, also quasi eingebürgert ist. Solche Pflanzen werden auch Neophyten genannt, die tierische Version davon sind Neozoen.

Von den unzähligen Arten fremder Tiere und Pflanzen, die seit Jahrhunderten über Kontinente hinweg als Samen oder Eier im Ballastwasser der Schiffe, in Lebensmittelkisten oder unter Schuhsohlen eingeschleppt werden, verschwinden die meisten einfach wieder. Sie keimen oder schlüpfen, fühlen sich dann in ihrer Umgebung nicht wohl und gehen schließlich ein oder werden gefressen.

Stare und Bienenfresser

Ein paar Arten aber bleiben. Manche nicht heimische Bäume halten die Trockenheit besser aus, manche Larven mögen die aufgewärmten Gewässer. Die Stare, die einst als kleine Gruppe im Central Park von New York City freigelassen wurden, bilden heute die zahlenmäßig stärkste Vogelgruppe Amerikas und werden von den meisten Menschen so geschätzt wie hierzulande der kunterbunte Bienenfresser an den Steilufern und Abbruchkanten in Sachsen-Anhalt oder der aus den Vogelkäfigen geflohene Halsbandsittich in der Rheinebene.

Etwa fünf Prozent aller fremden Arten bereiten laut Bundesamt für Naturschutz „naturschutzfachliche Probleme“ und gelten als invasiv. Sie breiten sich zu stark aus, schädigen Biotope und gefährden die biologische Vielfalt. Sie konkurrieren mit heimischen Arten um Nistplätze oder Nahrung, übertragen Krankheiten oder lösen Allergien aus, sind giftig oder vermiesen Landwirten die Ernte.

Europaweit werden aktuell 88 Tier- und Pflanzenarten als invasiv gelistet. Mindestens 46 dieser Arten kommen auch in Deutschland vor: Das Drüsige Springkraut überwuchert die Flussufer, die Wasserpest lässt Tümpel kippen, die Asiatische Hornisse jagt unsere Honigbienen, der Höckerflohkrebs frisst die Flüsse leer, und was Bisamratten und Nilgänse angeht – die kann sowieso niemand leiden.

Egal, wo ihr herkommt

Wo die Pflanzen in seinem Garten ursprünglich herkommen, ist Robin König eigentlich egal. „Mir geht es ausschließlich um die ökologische Verschränkung“, erklärt er und streichelt seine Armenische Traubenhyazinthe. „Die kam vom Balkan, hat sich sofort ins Ökosystem eingegliedert und leistet ihren Beitrag.“ König meint damit, dass die Pflanzen und Tiere eine lebhafte Wechselwirkung miteinander eingehen sollen: sich also gegenseitig Lebensraum und Nahrung liefern. Der Knöterich hingegen war ein ungebetener Gast in seinem Garten, verschränke sich nicht und nerve bloß.

Ingo Kowarik ist Professor für Pflanzenökologie an der Technischen Universität Berlin. Als er während seines Studiums zu städtischen Ökosystemen zu forschen begann, war noch gar nicht so klar, wie leicht sich fremde Arten an neuen Orten ansiedeln können. „In den Siebzigern haben wir erstmals in Berlin Brachflächen inspiziert und waren erstaunt von der Andersartigkeit der natürlichen Prozesse mitten in der Stadt“, erzählt der 68-Jährige.

Damals war der Japanische Staudenknöterich auf Privatgrundstücken gerade als Sichtschutz angesagt. Das Gewächs war schon Hunderte Jahre zuvor als Futter- und Zierpflanze nach Europa gekommen. Wurde er zu groß, flog er auf den Kompost, um sich dort erst so richtig zu entfalten – und mit ihm all die anderen achtlos ausgesetzten Zierpflanzen aus dem Gewächshaus.

Konsequenz des Kolonialismus

Von nun an bedeckte der Knöterich Böschungen, Brachen und Halden, weil er sich kein bisschen an den Schwermetallen im Boden störte. „Anfangs waren meine Kommilitonen und ich noch überrascht, wie schnell und dynamisch Wildnis ist“, sagt Kowarik. Umso wilder kämpften GartenbesitzerInnen damals zunächst gegen jedes Unkraut an, das sie nicht selbst in ihr Beet gepflanzt hatten. Inzwischen sei es anerkannter Mainstream, ein bisschen Natur unberührt zu lassen. Auch die nicht einheimischen Arten. „Es rührt mich, dass die Leute ein Herz für wilde Arten haben“, sagt er.

Die Verbreitung der Arten, sie ist eine Konsequenz aus Kolonialismus, Migrationsbewegungen und Globalisierung. Los ging es mit dem Start des Anthropozäns im 17. Jahrhundert. Erst schleppten Amerikas Pilgerväter Krankheiten aus Europa in die für sie Neue Welt und verantworteten damit ein Massensterben der indigenen Bevölkerung. Dann wurden die Kartoffeln aus den Anden nach Europa geholt und der Mais aus Mittelamerika und sehr viel früher die Äpfel und Birnen aus China, Zentralasien und dem Kaukasus und der Weizen aus dem Nahen Osten – denn ohne all diese Importe gäbe es hierzulande nicht viel mehr zu essen als Kraut und Rüben.

Im Anschluss machten es sich die Kolonialisten auf allen Kontinenten bequem. Von James Cooks Schiffen gingen Schafe und Kaninchen von Bord, um das wilde Australien etwas europäischer zu machen. Mit fatalen Folgen: Die Schafe traten mit ihren Klauen die Böden kaputt, die Kaninchen mümmelten die übrigen Triebe weg und Dingos fraßen schließlich die vom Hunger geschwächten heimischen Tiere. In den freigewordenen Nischen des australischen Lebensraums siedelten sich Amseln und Tauben, Mäuse und Ratten, Forellen und Lachse, Rotwild und Frettchen sowie Hunde und Katzen an. Das tragische Ende einer einmaligen Artenvielfalt.

Mit Ausrottung gegen Auslöschung

Im 20. Jahrhundert begann mit manchen Plagen auch ein Umdenken und man versuchte, die selbst verschuldete Auslöschung zu bremsen. Und zwar durch Ausrottung. Füchse, Katzen und eingeschlepptes Unkraut bedrohen in Australien beispielsweise die heimisch-ursprüngliche Barrington-Breitzahnratte, ein drolliges kleines, wühlmausähnliches Ding. Also werden die Invasoren erschossen und vergiftet. Neuseeland will sich wiederum bis 2050 aller nicht einheimischen Ratten entledigen. Denn die gefährden die einheimischen Vögel und Reptilien, heißt es.

Die US-Amerikaner sind ebenfalls nicht zimperlich. An der Ostküste wird die Bevölkerung aktuell ermutigt, fleißig alle gepunkteten Laternenträgerzikaden zu zerlatschen. In Florida soll die Burmesische Python dafür verantwortlich sein, dass bis zu 90 Prozent der Säugetiere aus den Sümpfen verschwinden könnten. Also schreibt man Kopfgeld auf die Würgeschlange aus. Gerade gewann ein 19-Jähriger bei einem Wettbewerb 10.000 US-Dollar, weil er 28 von ihnen erlegte.

Deutschland meuchelt da verhaltener. Früher erschlug man noch das ein oder andere dunkle Eichhörnchen in dem Glauben, es sei ein eingewandertes Grauhörnchen. Mittlerweile hat sich aber herumgesprochen, dass die Nager immer noch nicht bei uns angekommen sind. Dafür erlegen wir Nutrias und essen Sumpfkrebse, die sich in den Gewässern breitmachen. Die wohl hitzigsten Diskussionen aber werden um den Waschbären geführt.

Starke Lobby

Die Kleinbären büxten nach dem Krieg aus Pelzfarmen aus und haben sich seitdem prächtig bei uns eingelebt. Weil die gefräßigen Tiere Nester und Brutkästen plündern, gelten sie als invasive Art – und gleichzeitig als Internetstars, weil sie doch so furchtbar knuffig dabei aussehen, wie sie unsere Mülltonnen ausräumen und Dachböden ruinieren. Dadurch hat der Waschbär eine starke Lobby.

Während JägerInnen sich also auf den Naturschutz berufen und jedes Jahr neue Schießrekorde erzielen, argumentieren WaschbärfreundInnen ebenfalls mit dem Naturschutz. Sie behaupten: Wer Waschbären schießen will, komme mit dem Schießen nicht hinterher. Denn Weibchen reagieren auf Verluste mit verstärkter Fortpflanzung. Je mehr Abschuss, desto mehr Nachwuchs also. Im Gegensatz dazu bringen Waschbären weniger Junge auf die Welt, wenn sich ihre Lebensbedingungen grundlegend verschlechtern.

Was also bringt es, die einen zu töten, um die anderen zu retten? „Gar nichts, man muss keine Arten bekämpfen“, findet Denise Ritter vom Deutschen Tierschutzbund. „Prävention ist die Lösung.“ Es sei sehr viel sinnvoller, die Eintragungswege invasiver Arten strenger zu kontrollieren und den Wildtierhandel einzudämmen. „Prävention bedeutet aber auch, dass man Mensch-Tier-Konflikte von vornherein vermeidet“, sagt die 33-Jährige. Zum Beispiel indem wilde Tiere nicht angefüttert, Mülltonnen besser versiegelt und Ausweichflächen geschaffen werden. Also Orte, die als Lebensraum, Nist- und Futterplatz für die Tiere attraktiver sind als unsere Parks, Freibäder und Gärten.

Sterilisieren statt töten

Neben dem Waschbären hat in den vergangenen Jahren noch ein weiteres Tier für Aufregung gesorgt: die Nutria, ein biberähnlicher, bisamrattenartiger Nager aus Südamerika. Die Nutria wurde hundert Jahre zuvor ebenfalls wegen des Fells eingeschleppt und in Farmen eingesperrt, bis sich erste Populationen im Spreewald und an der Elbe ausbreiteten. Zu den Städten mit Nutriaproblem gehört beispielsweise Bonn. Weil die Nager die Ufer der Rheinaue kaputtnagen, werden die Tiere gefangen und getötet.

Denise Ritter plädiert hingegen für Einfangen und Sterilisieren. Die Zahl der Nutrias würde so sehr viel schneller sinken, erklärt die Tierschützerin. Das Töten von Tieren solle als allerletztes Mittel in Erwägung gezogen werden. Die Stadt hat den Vorschlag abgelehnt. Dieser Kampf der unterschiedlichen Naturschutzinteressen wirft entscheidende Fragen auf: Wie sehr bedrohen invasive Arten die heimischen tatsächlich?

In einem begrenzten Bereich können Invasoren wirklich gefährlich werden. Wenn der Waschbär auf einer bestimmten Fläche sämtliche Bodenbrüter wie Schnepfe und Kiebitz frisst, hat er die Art dort vernichtet. Aber damit ist das Raubtier noch keine Gefahr für die gesamte Population. Und sind Nutrias wirklich so problematisch, wenn sie nur eine begrenzte Anzahl an Deichen und Röhrichten kaputtmachen?

Der Mensch ist das Problem

Der Einfluss auf einzelne Arten kann gravierend sein, das allgemeine Artensterben hat aber andere Gründe. Oft besetzen invasive Spezies eine ökologische Nische, wenn die heimische Art zuvor schon durch den Menschen schwer beeinträchtigt wurde.

So konnte sich der Nerz erst dann in Europa ausbreiten, als die Population der Otter mangels Futter drastisch eingebrochen war. Soll man also jede neue Art erst einmal machen lassen und schauen, ob sie wirklich alle anderen Arten verdrängt? Und was dann?

In der Landwirtschaft, im Forst oder der Wasserversorgung kann man nicht einfach in Ruhe abwarten – da stört die Wildnis. Ihre Gefahren müssen rechtzeitig erkannt, eingeschätzt und abgewendet werden. Wenn sich eingewanderte Nager oder Heuschrecken ohne Fressfeinde über die Ernte hermachen, eine neue Käferart das Nutzholz im Wirtschaftswald durchlöchert, die Larven der Quagga-Muscheln in die Wasserleitungen schwimmen und die Förderanlagen verstopfen und der Knöterich das Treibgut festhält, dann wird das teuer.

Das wird teuer

Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung hat kürzlich eine ungeheure Summe genannt. In ihrer Studie zu weltweiten Folgeschäden durch invasive Arten kam sie auf Gesamtkosten von fast 1 Billion Euro seit 1960. Allein Wanderratte und Wildkaninchen sollen eine Ernte im Wert von insgesamt über 100 Milliarden Euro von den Feldern weggefressen haben. Sind solche Beträge nicht Grund zum Handeln?

Das Bundesumweltministerium findet: ja. Es hat nach einer entsprechenden EU-Verordnung 2015 einen Aktionsplan für den Umgang mit invasiven Arten entwickelt, überlässt aber den einzelnen Ländern das Management. Innerhalb der Länder sind die Interessen unterschiedlich verteilt und der Plan ist nicht immer klar. Denn die Landesregierungen arbeiten mit unvollständigen Listen – invasive Tiere und Pflanzen sind in Deutschland nur unzureichend erfasst. Über manche Arten weiß man, wie großflächig sie für Probleme sorgen, über andere nicht. Für manche Arten gibt es effektive Sofortmaßnahmen, für viele andere nicht.

So existieren neben einer Unionsliste, die die invasiven Arten für den gesamten EU-Raum umfasst, noch eine lokale Aktionsliste, eine Handlungsliste, eine Beobachtungsliste und eine Managementliste. Die kann man dann für jedes Bundesland herunterladen oder in seiner Kleingartenordnung nachlesen, konkrete Handlungsanweisungen gibt es kaum.

Die eine Gartenbesitzerin wütet dann eben halbherzig gegen die eigene invasive Wildnis an, der andere macht sich die Mühe nicht. Wer den Deich unverbuscht halten will, gräbt die Traubenkirsche aus. Wer den Buchsbaum mag, setzt dem Buchsbaumzünsler ein Ende. Und wem die Nase juckt, der reißt die Beifußambrosie aus. Denn, und auch das ist ein Faktor, die Eindringlinge können für allergische Reaktionen sorgen – und im schlimmsten Fall für Krankheit.

Der Mückenatlas

Im Büro bei Doreen Werner vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung in Müncheberg warten schon wieder Dutzende neue Umschläge. Jeden Tag ist die Postkiste voll. Ihr Inhalt sind tote Mücken. Jahrzehntelang hat sich die Forschung nicht für Mücken interessiert. Von ihnen ging keine Gefahr mehr aus, in Deutschland gab es seit den Fünfzigerjahren keinen einheimischen Malariafall mehr. Durch die invasiven Arten hat sich das mittlerweile geändert.

„Seit 2011 erfassen wir die Einsendungen in einem Mückenatlas“, erklärt Werner. Die HobbyjägerInnen sollen dazu Mücken mit einem Glas oder Becher einfangen, unversehrt im Gefrierfach ins Jenseits und anschließend zum Leibniz-Zentrum nach Müncheberg befördern. „Diese Daten sind unheimlich wertvoll für uns“, sagt Doreen Werner. „Ohne die Citizen Science hätten wir die nicht.“

Das Institut hat die Daten, Doreen Werner hat die Arbeit. Sie bestimmt die Stechmücken, Kriebelmücken und Gnitzen unter dem Mikroskop. „Mit bloßem Auge ist das unmöglich“, sagt sie. „Die Muster, die Punkte auf den Flügeln, die Größe, es gibt so viele Merkmale, die man genau unterscheiden muss.“ Niemand im Institut kennt die so genau wie Doreen Werner. Damit ist sie eine ständig gefragte Expertin, sowohl bei den KollegInnen als auch in den Medien. Und die wollen seit Jahren nur eines wissen: Wie gefährlich ist die Asiatische Tigermücke?

Penetranter Blutsauger

Die gestreifte Nervensäge ist nicht halb so groß wie unsere Hausmücke, aber doppelt so lästig. „Die heimischen Mücken fliegen schüchtern und summend an“, erklärt Doreen Werner. „Die Tigermücke hört man erst gar nicht. Sie verfolgt ihr Ziel penetrant.“ Die Biologin hat den Blutsauger im Visier, weil er etliche Viren übertragen kann, darunter das Dengue-, West-Nil- und Zika-Virus.

Spätestens seit dem Zika-Sommer 2016 seien die Leute verunsichert, sagt Doreen Werner. Die Tigermücke wird als genauso gefährlich angesehen wie damals der Pestfloh, und viele Menschen glauben, schon einmal von einer Tigermücke gestochen worden zu sein. Tatsächlich aber landen nur wenige echte Exemplare dieser Art unter dem Mikroskop der Expertin.

In fast allen Ländern Europas gilt die Tigermücke als etabliert. In Deutschland tritt sie regelmäßig auf. Nachdem seit 2007 über Jahre hinweg nur Einzelexemplare gefunden wurden, haben Doreen Werner und ihr Institut inzwischen auch größere Populationen nachgewiesen: in Bayern, Baden-Württemberg und Berlin.

Keine Panik

So geht Doreen Werner jedem Hinweis nach. Identifiziert sie eine Tigermücke, fährt sie zum Fundort und untersucht die Umgebung. Sie checkt die Lebendfallen, die das Institut zusätzlich aufhängt, und informiert die Behörden. Die nehmen dann Regenfässer und Vogeltränken, Eimer und Gießkannen unter die Lupe, um zu klären, ob es sich bei der Tigermücke nur um einen angeschwirrten Einzelfall handelt oder ob es bereits Larven gibt, die als nächste Generation ausschwärmen könnten. Die geschlüpften Mücken müssten dann das Blut einer an einem Tropenvirus erkrankten Person saugen und sich selbst infizieren, um das Virus übertragen zu können.

Noch ist der Moskito aus Asien aber nicht flächendeckend in Deutschland verbreitet. Auch hat es noch keine Ausbreitung von Denguefieber oder einer anderen Tropenkrankheit gegeben. „Vor drei Jahren hatten wir einmal einen Denguefall in einem Krankenhaus in Freiburg“, erzählt Werner. „Zur selben Zeit wurden wir über eine Tigermückenpopulation an einem Friedhof in der Nähe informiert.“ Der Patient wurde sofort verlegt, um Erreger und Mücke nicht zusammenzubringen. Schließlich muss sich auch eine Mücke erst einmal anstecken.

Bis dahin bleibt der Wirbel um die Tigermücke Panikmache. Trotzdem liegt es auf der Hand, dass sich die invasive Art ausbreitet – und mit ihr die Gefahr von Krankheiten. Der Klimawandel begünstigt dabei die Einwanderung oftmals.

Klimakatastrophe beschleunigt

Die Geschwindigkeit der Entdeckung neuer Arten ist weltweit rasant gestiegen. Tiere und Pflanzen fühlen sich plötzlich an Orten wohl, an denen es ihnen Jahre zuvor noch zu kalt, zu nass, zu trocken oder zu heiß gewesen wäre.

In Ostafrika gehen riesige Flächen an Weideland durch eine Mimosenart verloren. In Kalifornien explodiert der Schwarze Senf und verwandelt die Äcker in ein einziges Dickicht.

Fabian Sittaro hat die Entwicklung in Deutschland erforscht. In seiner Doktorarbeit an der Universität Leipzig verknüpft er Geografie und Biologie miteinander, um den Lebensraum von invasiven Pflanzen zu kartieren. Die Habitate wurden aus Satellitenbilden erfasst und auf klimatische Veränderungen in puncto Temperatur und Niederschlag untersucht. „Die Mehrzahl der invasiven Pflanzen werden durch den Klimawandel begünstigt“, resümiert der 34-Jährige im Videocall, eine unverwüstliche Schusterpalme grünt im Hintergrund.

Bessere Daten

Am stärksten profitierten die Pflanzen, die noch keinen großen Lebensraum für sich beanspruchen: das Kamtschatkaveilchen, der Blauglockenbaum. „Die kommen noch nicht häufig in freier Wildbahn vor, weil sie oft nicht so frosthart sind.“ Aber das müssen sie ja auch bald nicht mehr sein. Umgekehrt würden die bereits als invasiv bekannten Problempflanzen nicht viel problematischer. „Der Riesenbärenklau und das Drüsige Springkraut werden es in den nächsten fünfzig Jahren deutlich schlechter bei uns haben“, so Sittaro.

Seine Karten sollen bald auf einer Website veröffentlicht werden, um zu veranschaulichen, an welchen Orten welche Arten welche Effekte haben. „Wir müssen genau wissen: Wo ist das Habitat? Wie ist die Ausbreitung? Erst dann kann man rechtzeitig und effektiv eingreifen.“

Mit der Modellierung aus Satellitendaten, Fernerkundungsverfahren und maschinellem Lernen verschafft Sittaro den ganzen Listen und Plänen des Ministeriums überhaupt erst eine Grundlage. „Schwarz-Weiß-Denken und emotionale Befindlichkeiten helfen der Debatte nicht“, sagt der Forscher. „Daten aber schon.“

Platz für die Wildnis

Zwanzig Jahre lang war TU-Professor Ingo Kowarik Berlins Landesbeauftragter für Naturschutz. Heute weiß er: „Eine Bekämpfung ist theoretisch möglich, aber praktisch eine Riesenaufgabe“, sagt er. „Nun ist die Frage: Wohin lenke ich meine Energie? Ausschließlich auf die neuen Arten sicherlich nicht.“ Laut Kowariks Daten spielen bei der Gefährdung heimischer Pflanzen Neophyten eine gar nicht so große Rolle. Intensive Landnutzung und durch den Menschen zerstörte Lebensräume lösen Artensterben viel häufiger aus.

„Ich glaube, es lohnt nicht, eine Art an sich zu bekämpfen. Wenn wir versuchen, die biologische Vielfalt zu erhalten, muss das auch mit einer Aufgeschlossenheit für den Wandel der Natur vereinbar sein.“

Der Wildnis neuen Raum zu verschaffen, werde künftig umso wichtiger. Gemeint ist damit nicht nur eine nach unseren Vorstellungen intakte Natur. Götterbaum, Bärenklau und Knöterich haben gezeigt, dass sie sich auch auf stillgelegten Fabrikanlagen und Aschehalden wohlfühlen, auf vertrockneten Feldern, gerodeten Waldflächen und vergifteten Weiden, also an Orten Wurzeln schlagen können, die der industriellen Umweltzerstörung zum Opfer gefallen sind. Denn die Spezies, die für diese Welt den größten Schaden anrichtet, bleibt immer noch der Mensch.

Text und Bild: Philipp Brandstädter

Traue deinen Augen nicht

Traue deinen Augen nicht

Gleich lange Linien erscheinen unterschiedlich lang. Starre Muster beginnen sich zu bewegen. Optische Täuschungen spielen unseren Augen Streiche. Doch sie beweisen nicht, wie schlecht unsere Augen sind. Sondern vielmehr, wie schnell und trickreich unser Gehirn arbeitet.

Ein Riese und ein Zwerg stehen in einem Raum. So sieht das jedenfalls auf dem Bild aus. In Wahrheit sind Riese und Zwerg aber nahezu gleich groß. Eine so genannte optische Täuschung spielt uns hier einen Streich. Von diesen und anderen Täuschungen lassen sich Leute gleichermaßen verwirren wie faszinieren. Doch wie entstehen optische Täuschungen überhaupt?

Die Welt, in der wir leben, nehmen wir mit fünf Sinnen wahr. Wir tasten, riechen, schmecken, hören – und sehen. Unsere Augen sehen eine begrenzte Bandbreite an Farben, Helligkeiten, Kontrasten und Größen. Außerdem sind die Augen dafür gebaut, eher Bewegungen als Unbewegliches wahrzunehmen. Was es um uns herum zu sehen gibt und was wir tatsächlich sehen, sind zwei unterschiedliche Dinge. Beim Wahrnehmen trennen wir wichtige Infos von unwichtigen. Dafür zuständig ist unser Gehirn.

Das Hirn lernt

„Welche Informationen für uns wichtig sind, lernt das Gehirn nach und nach“, erklärt der Fachmann Michael Bach. „Es verarbeitet neue Eindrücke und vergleicht sie mit Erfahrungen, die wir bereits gemacht haben.“ So müssen wir uns etwa nicht lange wundern, wenn wir ein sehr heißes, rötlich loderndes, knisterndes Etwas bemerken. Wir wissen sofort: Feuer! Und können zur Not blitzschnell handeln.

Diese Bewertungen erledigt unser Gehirn meist sehr zuverlässig. So wissen wir, dass etwa ein Haus, das in unserem Auge klein erscheint, nicht tatsächlich klein sein muss. Es kann auch einfach weiter entfernt sein. „Durch diese Leistung unseres Gehirns können wir überhaupt erst räumlich sehen“, sagt der Experte. Ohne dass wir uns über die wichtigen Unterschiede überhaupt Gedanken machen müssten.

Ab und an jedoch sehen wir Dinge, die nicht mit unserer erfahrenen Wirklichkeit übereinstimmen. Mal spiegeln sich Dinge ungewohnt, mal verwirrt uns ein bestimmter Blickwinkel. Plötzlich verändern Dinge ihre Größe, Farbe und Form. Oder bewegen sich scheinbar, obwohl sie das nicht sollten. Dann spricht man von optischen Täuschungen.

Alles total schief

So wie bei dem Raum mit dem Riesen und dem Zwerg. Dort sind nicht etwa die beiden Gestalten ungewöhnlich. Stattdessen ist es der vermeintlich normale Raum. Der Boden, die Wände, die Decke – alles ist total schief und verzerrt! Nur aus einem bestimmten Blickwinkel sieht man den Raum wie gewohnt rechtwinklig. Tatsächlich ist die eine Zimmerecke aber an der einen Stelle weiter von uns entfernt als die andere. Und somit ist der Zwerg nicht etwa klein, sondern einfach nur weiter weg. Der Riese hingegen steht näher dran am Betrachter. Und erscheint dadurch größer.

„Eine optische Täuschung zeigt uns nicht, dass uns unsere Augen betrügen“, sagt Michael Bach. „Sie zeigt uns vielmehr, wie trickreich unser Sehsinn mit unserem Gehirn verbunden ist. Auf diese Weise finden wir uns möglichst schnell in der Welt zurecht.“

Der blinde Fleck

Übrigens: Manchmal muss das Gehirn schummeln, damit wir uns in unserer Welt zurecht finden. In unserem Sichtfeld gibt es zum Beispiel eine Stelle, die unser Auge niemals sehen kann: den blinden Fleck.

Das ist die Stelle in unserem Auge, in dem unser Sehnerv aus dem Augapfel in Richtung Gehirn führt. Diese Stelle hat keine Sinneszellen, mit denen wir optische Eindrücke verarbeiten können. An diesem kleinen Fleck sind unsere Augen blind. Eigentlich müssten wir also je Auge eine Stelle im Sichtfeld wahrnehmen, die wir nicht sehen können.

Doch sind unsere Augen gesund, dann gleicht unser Gehirn diesen blinden Fleck aus. Wir bemerken ihn gar nicht. Dass es den Fleck trotzdem gibt, kannst du aber beweisen: Male mit Filzstift zwei Punkte mit etwa zwölf Zentimetern Abstand. Die Punkte können etwa so groß sein wie ein Kästchen im Matheheft.

Halte nun das linke Auge zu und schaue mit dem rechten Auge auf den linken Punkt. Dann halte das Papier etwa eine Armlänge von dir entfernt. Gehst du nun etwas dichter an das Papier heran, so verschwindet der rechte Punkt plötzlich! Dann hat dieser Punkt den Bereich des Sichtfelds erreicht, den wir durch den blinden Fleck eigentlich gar nicht sehen.

Text: Philipp Brandstädter,
zunächst erschienen über dpa Nachrichten für Kinder, September 2018

Quellen:

Optische Täuschungen

Optische Täuschungen

Alles aus Glas

Alles aus Glas

Flaschen, Fenster, Smartphones, Brillen: Glas ist überall. Der besondere Stoff ist immer nützlich, oft durchsichtig, meistens zerbrechlich. Deshalb begleitet er uns auf so unterschiedliche Art und Weise durch den Alltag. Wie Glas entsteht und welche Formen es annimmt, liegt einem alten Handwerk zugrunde: der Glasbläserei.

Glas übt einen besonderen Reiz auf uns. Und praktisch ist es auch noch. Den Werkstoff kennen die Menschen schon seit vielen tausend Jahren. Schon damals haben sie daraus vor allem Schmuckstücke und Behälter angefertigt. Glas besteht haupsächlich aus sechs Stoffen, die in der Natur vorkommen. Sie heißen: Quarz-Sand, Soda, Kalk, Dolomit, Feldspat und Pottasche. Je nachdem, in welchen Anteilen diese Stoffe in einem Ofen zusammen geschmolzen werden, entsteht unterschiedliches Glas.

Durch Glas kann man meistens hindurch gucken. Oft ist es ganz farblos, manchmal auch bunt. Von Natur aus schimmert Glas leicht grünlich. Das liegt an dem Eisen, dass im Quarz-Sand steckt. Wenn man andere Mineralien hinzu mischt, lässt sich das Glas einfärben. Flaschen sind zum Beispiel häufig braun oder grün. Eher selten ist rotes Glas. Der Stoff, der für die rote Farbe sorgt, ist nämlich besonders kostbar.

Über der Flamme

Eine lodernde Flamme erhellt die Werkstatt. Sie schießt aus einem Brenner hervor, der auf einem Tisch vor sich hin rauscht. In der heißen Flamme verwandelt Thomas Kirchgeorg festes Glas in einen formbaren Stoff. Und fertigt auf diese Weise kunstvolle Gegenstände an.

Thomas Kirchgeorg ist Glasbläser. Er sitzt hinter dem Brenner und hält eine Röhre aus Glas ins Feuer. Die Flamme wird größer, umschließt das Glas und lässt es allmählich schmelzen. Der Glasbläser dreht die Röhre schnell zwischen seinen Händen hin und her. An einer Stelle lässt Thomas Kirchgeorg das Glas so lange im Feuer, bis es rot glüht. Dann pustet er behutsam in die Röhre hinein. Der glühende Teil bläht sich auf wie ein Luftballon. Eine Kugel entsteht. Aus purem Glas.

Doch die Kugel befindet sich noch mitten im Glasrohr. An einer Seite trennt Thomas Kirchgeorg das Rohr von der Kugel. Er ritzt es mit einem Glasschneider an und knickt es einfach ab. In der Flamme verschmilzt er die Stelle, bis sie rund ist. Auch das andere Ende der Kugel wird noch einmal erhitzt.

Jedes Stück einzigartig

Mit einem Metallstück verbiegt der geschickte Fachmann das dickflüssige Glas zu einem Anhänger. Fertig ist eine einzigartige Weihnachtskugel. Sie muss jetzt auskühlen und kann später noch verziert werden. Thomas Kirchgeorg kann die Kugel auch mit bunten Glas-Scherben einfärben. Diese muss er aber schon in das glühende Glasrohr hinein schmelzen, bevor er es überhaupt zur Kugel aufbläst.

In der Werkstatt von Thomas Kirchgeorg liegt, steht und hängt unzähliger kunstvoller Schmuck herum. „Je nachdem, wie ich die Röhren und Stäbe drehe, ziehe und aufblase, kann ich dem Glas unterschiedliche Formen verleihen“, erklärt der Fachmann. Neben den Kugeln gibt es besonders viele kleine Figuren und Anhänger, die in allen möglichen Farben schimmern. Schnell wird man von den zerbrechlichen Kunstwerken in den Bann gezogen. „Glas hat uns Menschen schon immer fasziniert“, sagt Thomas Kirchgeorg. „Weil es glänzt und das Licht brechen kann. Und vielleicht auch, weil man so vorsichtig damit umgehen muss.“

Glas für Labore

Früher war Thomas Kirchgeorg Glas-Apparate-Bauer. Er hat Instrumente hergestellt, die in Laboren gebraucht werden. Heute macht der Glasbläser vor allem Kunst. Da muss er nicht immer dieselben Dinge anfertigen, sondern kann sich auch ganz neue Sachen ausdenken. Und weil diese besonders zu Weihnachten beliebt sind, bereitet sich Thomas Kirchgeorg das ganze Jahr über auf die Adventszeit vor. So entsteht in seiner Glasbläserei zum Beispiel allerlei Schmuck für den Weihnachts-Baum. Doch der Glasbläser stellt auch Tee-Lichter oder Schreibfedern her. „Ich mache einfach die Sachen, die die Leute mögen“, sagt Thomas Kirchgeorg und grinst. „Die sind mal nützlich, mal nicht ganz so nützlich, aber immer einzigartig.“

Auch wenn in der Flamme auf der Werkbank immer wieder neuer Schmuck entsteht: Am Handwerk des Glasbläsers hat sich gar nicht so viel geändert, erklärt der Fachmann. Nach wie vor brauche man vor allem Geduld, Vorsicht und Finger-Fertigkeit. „Glasblasen ist wie küssen“, sagt Thomas Kirchgeorg. „Man muss behutsam und zärtlich sein. Wer zu wild ist, macht nur den schönen Augenblick kaputt.“

Die Spannung macht’s

Milch, Mineralwasser, Marmelade. Alle möglichen Dinge werden massenhaft in Flaschen und Gläsern abgefüllt. Dafür braucht man viel Glas. Es muss schnell hergestellt werden und darf nicht viel Geld kosten. Solche Behälter werden in großen Mengen in Fabriken hergestellt. Es gibt aber auch Glas, das sehr viel mehr Geld kostet. Doch was unterscheidet das billige Glas vom teuren?

Die so genannte Spannung macht’s. Sie entscheidet, wie stabil das Glas ist. Wenn man Glas erhitzt, dann dehnt es sich aus. Macht man das zu schnell, geht es kaputt. Man sagt: Das Glas hat zu viel Spannung. Diese Spannung können Glas-Hersteller gering halten, indem sie sich bei der Arbeit mehr Zeit lassen. „Gutes Glas muss immer wieder erhitzt und abgekühlt werden“, erklärt ein Fachmann. „Stellt man Flaschen und Gläser in Massen her, ist dafür keine Zeit.“ Solche Gläser werden auch nicht aus einem Stück geblasen. Es wird aus mehreren Teilen gepresst.

Viel aufwändiger entstehen hingegen edle Gläser, die mehr aushalten und schöner aussehen. Das Murano-Glas aus Venedig ist zum Beispiel eine berühmte Marke. Produkte aus diesem Glas kosten sehr viel Geld. Dort läuft die Fertigung mit viel mehr Arbeit und Zeit ab. Welche Techniken die Glasbläser dort verwenden und mit welchen Anteilen sie ihr Glas zusammen schmelzen, ist ein Geheimnis.

Text und Bild: Philipp Brandstädter,
zunächst erschienen über dpa Nachrichten für Kinder, November 2015

Quellen:

Verband Deutscher Glasbläser

BV Glas zur Glasproduktion

Training für den Kopf

Training für den Kopf

Wer sich einen Arm bricht oder das Knie verletzt, kann keinen Sport treiben. Aber was ist, wenn ein Profi so viel Stress und Druck verspürt, dass ihm der Sport nur noch Sorgen statt Freude macht? Dann können Psychologen helfen.

Ein Fußballstar sein. Bei einem großen Verein spielen, in die Nationalmannschaft gewählt werden. Von Tausenden Zuschauern bejubelt werden. Und dabei jede Menge Geld verdienen. Davon träumen viele Jungen und Mädchen.

Doch eine Profikarriere als Fußballer hat auch andere Seiten. Davon erzählten kürzlich bekannte Kicker wie Per Mertesacker und Sven Ulreich. In Zeitschriften berichteten sie, dass sie während ihrer Laufbahn immer wieder mit Leistungsdruck und Lampenfieber zu kämpfen hatten.

„Diese Sportler stehen heutzutage von früh bis spät im Rampenlicht“, erklärt die Sportpsychologin Renate Eichenberger. „Sowohl auf dem Spielfeld als auch jenseits davon werden sie ständig beobachtet. Wer immer in Topform und immer ohne Fehler zu sein hat, spürt oft sehr großen Druck.“

Stress schon im Jugendsport

Dieser Stress geht schon früh los. Denn so eine Karriere erfordert Kraft und Zeit. Jugendliche, die Leistungssport treiben wollen, trainieren vier- bis fünfmal die Woche. Dazu kommen Spiele oder Wettkämpfe am Wochenende. Und ganz nebenbei: Hausaufgaben machen und Büffeln für den Schulabschluss.

Viel Schule, viel Sport, wenig Freizeit. Wie anstrengend das ist, weiß fast jeder Sportler. Trotzdem kommt es nicht oft vor, dass sie in der Öffentlichkeit darüber reden. Renate Eichenberger weiß, warum: „In einem Verein herrscht ständig Wettbewerb. Da trauen sich die Sportler nicht, Schwächen zu zeigen.“ Außerdem tun sich viele Leute immer noch schwer, psychische Probleme zu verstehen. „Mit einem gebrochenen Bein kann man nicht Fußball spielen, das sieht jeder“, sagt die Fachfrau. „Aber was, wenn jemand zwar körperlich fit, aber von Ängsten und Sorgen geplagt ist?“

Auf sich selbst achten

Für die jungen und älteren Profis ist klar: Körperlich fit sein reicht nicht. Auch der Kopf muss mitmachen. Weil das so wichtig ist, helfen auch immer mehr Vereine ihren Spielern, mit dem Druck umzugehen. Größere Vereine stellen deshalb Experten wie Renate Eichenberger an, die mit den Sportlern zusammen arbeiten.

Die Psychologin hilft einzelnen Leistungssportlern, Spielern in Vereinen und auch Trainern. „Die Leute, mit denen ich arbeite, merken schnell, dass sich auch der Kopf trainieren lässt.“ Meist spricht Renate Eichenberger mit ihren Klienten zunächst über ihre Sorgen. Dann überlegt sie, wie sich die Probleme am besten bewältigen lassen.

Solche Lösungen sehen von Person zu Person ganz unterschiedlich aus. Ein allgemein wichtiger Rat aber ist: Achte gut auf dich selbst und deine Kraft! „Leistung bringen und hart dafür arbeiten ist eine Sache“, sagt die Fachfrau. „Man darf dabei aber nicht die Freude am Sport verlieren.“

Teste dich selbst!

Vielleicht kennst du das ja auch: An manchen Tagen bist du müde und lustlos. Nachts kannst du nicht gut einschlafen und träumst schlecht. Es fühlt sich dann so an, als fehle dir die nötige Energie. Wenn es dir an vielen Tagen so geht, dann teste doch einfach mal deinen Stresslevel.

Das machst du am besten, indem du eine Art Tagebuch führst. Schreib dir auf, wann du Bauchweh oder keinen Appetit hattest. Wann du nervös und unkonzentriert warst. Wann du wütend warst oder am liebsten niemanden sehen wolltest. Diese Notizen verschaffen dir einen Überblick, wie oft du gut oder schlecht drauf bist. Vielleicht erkennst du auch einen Grund, wann du dich gestresst fühlst.

Hast du das Gefühl, dass du zu viel zu tun hast? Dann nimm dir mehr Zeit für dich! Verbringe Zeit mit deiner Familie und deinen Freunden. Lies ein Buch oder bastle etwas. Tu, was dir Spaß macht. Vielleicht kannst du auch in deinem Tagebuch erkennen, welche Dinge dir Zeit rauben. Etwa das Smartphone, der Fernseher – oder auch das Training im Verein.

Text und Bild: Philipp Brandstädter,
zunächst erschienen über dpa Nachrichten für Kinder, Mai 2018

Quellen:

Mertesacker im Interview