Invasion der anderen Art

Invasion der anderen Art

erschienen in der taz, die Tageszeitung, am 12. August 2023

Durch den Menschen eingeschleppte Tier- und Pflanzenarten mischen Ökosysteme auf, der Klimawandel begünstigt die Ausbreitung noch. Welche richten Schaden an?

Die Eindringlinge haben einen weiten Weg hinter sich gebracht und machen sich nun heimlich bei uns breit. Werden mehr und mehr, bedrohen, was wir liebgewonnen haben, zerstören die Umwelt. Klingt nach AfD und vergifteter Einwanderungsdebatte. Nur sind in dieser Erzählung Pflanzen und Tiere gemeint.

Ob Japanischer Knöterich, Kaukasischer Bärenklau, Chinesischer Götterbaum oder die US-Importe Sumpfkrebs, Ochsenfrosch und Waschbär: Sie alle gelten als gefährliche Fremdlinge. Über diese sogenannten invasiven Arten wird genauso lange schon gestritten, wie wir Menschen uns die Erde untertan machen. Erst wird Land erobert und dann verteidigt, gegen alles, was auch ein bisschen Land wollen könnte.

Laut einer aktuellen Studie könnten eingeschleppte Tier- und Pflanzenarten in der EU bis 2040 für Kosten in Höhe von 142,73 Milliarden Euro sorgen. Grund dafür sind unter anderem Ernteverluste und Belastungen des Gesundheitssystems durch neue Krankheiten. Der Klimawandel beschleunigt diese Entwicklung und heizt auch einen Streit an: zwischen denen, die die unkontrollierte Verbreitung der Arten verhindern wollen, und denen, die finden, dass in den Lauf der Dinge nicht eingegriffen werden sollte.

Ökologische Verschränkung

Im Garten von Robin König fliegt und zirpt und flattert es, wo man nur hinsieht. Die blauen Hüllblätter des groß gewachsenen Alpenmannstreus – ursprünglich aus dem Mittelmeerraum und seit dem 16. Jahrhundert auch in Deutschland kultiviert – sind schon fast abgeblüht. Trotzdem umschwirren ihn derart viele Wildbienen, Wespen, Hummeln, Käfer und Fliegen, dass die Augen nur ein diffuses Flimmern zahlloser schwarzer Punkte ausmachen wollen.

Wie immer in diesen Sommertagen sieht es so aus, als könnte es jeden Augenblick regnen. Um das kostenlose Wasser direkt dorthin zu leiten, wo es benötigt wird, nämlich an die Wurzeln des Alpenmannstreus, hat der 24-jährige Hobbygärtner mit dem Spaten rundherum ein Becken ausgestochen. Dort unten wächst und blüht, was vorher noch schwer zu kämpfen hatte, denn bei dem Brandenburger Bodenmix aus Sand und Lehm beginnt erst tief die fruchtbare Erde. Danach will er sich endlich dem Japanischen Knöterich widmen. Denn: „Wie das Zeug schon wieder eskaliert ist, das ist nicht mehr feierlich“, sagt er.

In kürzester Zeit hat sich das bambusartige Ungetüm vom Gartenzaun über die anliegenden Beete erstreckt. Diese Auswüchse müssen weg. „Der Knöterich ist die wirtschaftlich teuerste Pflanze, die es gibt“, sagt König. Aber einfach mit der Machete in das Gestrüpp einfallen und die wuchernden Stängel zurückschneiden, reicht nicht.

Echt kein Spielzeug

Den müsse man „abfolieren“, also schwarze Folie über den Boden legen, damit kein Licht mehr rankommt. Sonst gebe die Pflanze wachstumshemmende Bitterstoffe an ihre Umgebung ab. Das Ding sei „eine ökologische Katastrophe“ und „echt kein Spielzeug“. König ist sich sicher: Würde er hier nicht eingreifen, würde gar nichts anderes mehr wachsen.

Der Knöterich ist eine nicht einheimische, eine gebietsfremde Art. Von der spricht das Bundesnaturschutzgesetz dann, wenn sie weder ursprünglich aus Mitteleuropa stammt, noch seit über 100 Jahren als verwilderte Art vorkommt, also quasi eingebürgert ist. Solche Pflanzen werden auch Neophyten genannt, die tierische Version davon sind Neozoen.

Von den unzähligen Arten fremder Tiere und Pflanzen, die seit Jahrhunderten über Kontinente hinweg als Samen oder Eier im Ballastwasser der Schiffe, in Lebensmittelkisten oder unter Schuhsohlen eingeschleppt werden, verschwinden die meisten einfach wieder. Sie keimen oder schlüpfen, fühlen sich dann in ihrer Umgebung nicht wohl und gehen schließlich ein oder werden gefressen.

Stare und Bienenfresser

Ein paar Arten aber bleiben. Manche nicht heimische Bäume halten die Trockenheit besser aus, manche Larven mögen die aufgewärmten Gewässer. Die Stare, die einst als kleine Gruppe im Central Park von New York City freigelassen wurden, bilden heute die zahlenmäßig stärkste Vogelgruppe Amerikas und werden von den meisten Menschen so geschätzt wie hierzulande der kunterbunte Bienenfresser an den Steilufern und Abbruchkanten in Sachsen-Anhalt oder der aus den Vogelkäfigen geflohene Halsbandsittich in der Rheinebene.

Etwa fünf Prozent aller fremden Arten bereiten laut Bundesamt für Naturschutz „naturschutzfachliche Probleme“ und gelten als invasiv. Sie breiten sich zu stark aus, schädigen Biotope und gefährden die biologische Vielfalt. Sie konkurrieren mit heimischen Arten um Nistplätze oder Nahrung, übertragen Krankheiten oder lösen Allergien aus, sind giftig oder vermiesen Landwirten die Ernte.

Europaweit werden aktuell 88 Tier- und Pflanzenarten als invasiv gelistet. Mindestens 46 dieser Arten kommen auch in Deutschland vor: Das Drüsige Springkraut überwuchert die Flussufer, die Wasserpest lässt Tümpel kippen, die Asiatische Hornisse jagt unsere Honigbienen, der Höckerflohkrebs frisst die Flüsse leer, und was Bisamratten und Nilgänse angeht – die kann sowieso niemand leiden.

Egal, wo ihr herkommt

Wo die Pflanzen in seinem Garten ursprünglich herkommen, ist Robin König eigentlich egal. „Mir geht es ausschließlich um die ökologische Verschränkung“, erklärt er und streichelt seine Armenische Traubenhyazinthe. „Die kam vom Balkan, hat sich sofort ins Ökosystem eingegliedert und leistet ihren Beitrag.“ König meint damit, dass die Pflanzen und Tiere eine lebhafte Wechselwirkung miteinander eingehen sollen: sich also gegenseitig Lebensraum und Nahrung liefern. Der Knöterich hingegen war ein ungebetener Gast in seinem Garten, verschränke sich nicht und nerve bloß.

Ingo Kowarik ist Professor für Pflanzenökologie an der Technischen Universität Berlin. Als er während seines Studiums zu städtischen Ökosystemen zu forschen begann, war noch gar nicht so klar, wie leicht sich fremde Arten an neuen Orten ansiedeln können. „In den Siebzigern haben wir erstmals in Berlin Brachflächen inspiziert und waren erstaunt von der Andersartigkeit der natürlichen Prozesse mitten in der Stadt“, erzählt der 68-Jährige.

Damals war der Japanische Staudenknöterich auf Privatgrundstücken gerade als Sichtschutz angesagt. Das Gewächs war schon Hunderte Jahre zuvor als Futter- und Zierpflanze nach Europa gekommen. Wurde er zu groß, flog er auf den Kompost, um sich dort erst so richtig zu entfalten – und mit ihm all die anderen achtlos ausgesetzten Zierpflanzen aus dem Gewächshaus.

Konsequenz des Kolonialismus

Von nun an bedeckte der Knöterich Böschungen, Brachen und Halden, weil er sich kein bisschen an den Schwermetallen im Boden störte. „Anfangs waren meine Kommilitonen und ich noch überrascht, wie schnell und dynamisch Wildnis ist“, sagt Kowarik. Umso wilder kämpften GartenbesitzerInnen damals zunächst gegen jedes Unkraut an, das sie nicht selbst in ihr Beet gepflanzt hatten. Inzwischen sei es anerkannter Mainstream, ein bisschen Natur unberührt zu lassen. Auch die nicht einheimischen Arten. „Es rührt mich, dass die Leute ein Herz für wilde Arten haben“, sagt er.

Die Verbreitung der Arten, sie ist eine Konsequenz aus Kolonialismus, Migrationsbewegungen und Globalisierung. Los ging es mit dem Start des Anthropozäns im 17. Jahrhundert. Erst schleppten Amerikas Pilgerväter Krankheiten aus Europa in die für sie Neue Welt und verantworteten damit ein Massensterben der indigenen Bevölkerung. Dann wurden die Kartoffeln aus den Anden nach Europa geholt und der Mais aus Mittelamerika und sehr viel früher die Äpfel und Birnen aus China, Zentralasien und dem Kaukasus und der Weizen aus dem Nahen Osten – denn ohne all diese Importe gäbe es hierzulande nicht viel mehr zu essen als Kraut und Rüben.

Im Anschluss machten es sich die Kolonialisten auf allen Kontinenten bequem. Von James Cooks Schiffen gingen Schafe und Kaninchen von Bord, um das wilde Australien etwas europäischer zu machen. Mit fatalen Folgen: Die Schafe traten mit ihren Klauen die Böden kaputt, die Kaninchen mümmelten die übrigen Triebe weg und Dingos fraßen schließlich die vom Hunger geschwächten heimischen Tiere. In den freigewordenen Nischen des australischen Lebensraums siedelten sich Amseln und Tauben, Mäuse und Ratten, Forellen und Lachse, Rotwild und Frettchen sowie Hunde und Katzen an. Das tragische Ende einer einmaligen Artenvielfalt.

Mit Ausrottung gegen Auslöschung

Im 20. Jahrhundert begann mit manchen Plagen auch ein Umdenken und man versuchte, die selbst verschuldete Auslöschung zu bremsen. Und zwar durch Ausrottung. Füchse, Katzen und eingeschlepptes Unkraut bedrohen in Australien beispielsweise die heimisch-ursprüngliche Barrington-Breitzahnratte, ein drolliges kleines, wühlmausähnliches Ding. Also werden die Invasoren erschossen und vergiftet. Neuseeland will sich wiederum bis 2050 aller nicht einheimischen Ratten entledigen. Denn die gefährden die einheimischen Vögel und Reptilien, heißt es.

Die US-Amerikaner sind ebenfalls nicht zimperlich. An der Ostküste wird die Bevölkerung aktuell ermutigt, fleißig alle gepunkteten Laternenträgerzikaden zu zerlatschen. In Florida soll die Burmesische Python dafür verantwortlich sein, dass bis zu 90 Prozent der Säugetiere aus den Sümpfen verschwinden könnten. Also schreibt man Kopfgeld auf die Würgeschlange aus. Gerade gewann ein 19-Jähriger bei einem Wettbewerb 10.000 US-Dollar, weil er 28 von ihnen erlegte.

Deutschland meuchelt da verhaltener. Früher erschlug man noch das ein oder andere dunkle Eichhörnchen in dem Glauben, es sei ein eingewandertes Grauhörnchen. Mittlerweile hat sich aber herumgesprochen, dass die Nager immer noch nicht bei uns angekommen sind. Dafür erlegen wir Nutrias und essen Sumpfkrebse, die sich in den Gewässern breitmachen. Die wohl hitzigsten Diskussionen aber werden um den Waschbären geführt.

Starke Lobby

Die Kleinbären büxten nach dem Krieg aus Pelzfarmen aus und haben sich seitdem prächtig bei uns eingelebt. Weil die gefräßigen Tiere Nester und Brutkästen plündern, gelten sie als invasive Art – und gleichzeitig als Internetstars, weil sie doch so furchtbar knuffig dabei aussehen, wie sie unsere Mülltonnen ausräumen und Dachböden ruinieren. Dadurch hat der Waschbär eine starke Lobby.

Während JägerInnen sich also auf den Naturschutz berufen und jedes Jahr neue Schießrekorde erzielen, argumentieren WaschbärfreundInnen ebenfalls mit dem Naturschutz. Sie behaupten: Wer Waschbären schießen will, komme mit dem Schießen nicht hinterher. Denn Weibchen reagieren auf Verluste mit verstärkter Fortpflanzung. Je mehr Abschuss, desto mehr Nachwuchs also. Im Gegensatz dazu bringen Waschbären weniger Junge auf die Welt, wenn sich ihre Lebensbedingungen grundlegend verschlechtern.

Was also bringt es, die einen zu töten, um die anderen zu retten? „Gar nichts, man muss keine Arten bekämpfen“, findet Denise Ritter vom Deutschen Tierschutzbund. „Prävention ist die Lösung.“ Es sei sehr viel sinnvoller, die Eintragungswege invasiver Arten strenger zu kontrollieren und den Wildtierhandel einzudämmen. „Prävention bedeutet aber auch, dass man Mensch-Tier-Konflikte von vornherein vermeidet“, sagt die 33-Jährige. Zum Beispiel indem wilde Tiere nicht angefüttert, Mülltonnen besser versiegelt und Ausweichflächen geschaffen werden. Also Orte, die als Lebensraum, Nist- und Futterplatz für die Tiere attraktiver sind als unsere Parks, Freibäder und Gärten.

Sterilisieren statt töten

Neben dem Waschbären hat in den vergangenen Jahren noch ein weiteres Tier für Aufregung gesorgt: die Nutria, ein biberähnlicher, bisamrattenartiger Nager aus Südamerika. Die Nutria wurde hundert Jahre zuvor ebenfalls wegen des Fells eingeschleppt und in Farmen eingesperrt, bis sich erste Populationen im Spreewald und an der Elbe ausbreiteten. Zu den Städten mit Nutriaproblem gehört beispielsweise Bonn. Weil die Nager die Ufer der Rheinaue kaputtnagen, werden die Tiere gefangen und getötet.

Denise Ritter plädiert hingegen für Einfangen und Sterilisieren. Die Zahl der Nutrias würde so sehr viel schneller sinken, erklärt die Tierschützerin. Das Töten von Tieren solle als allerletztes Mittel in Erwägung gezogen werden. Die Stadt hat den Vorschlag abgelehnt. Dieser Kampf der unterschiedlichen Naturschutzinteressen wirft entscheidende Fragen auf: Wie sehr bedrohen invasive Arten die heimischen tatsächlich?

In einem begrenzten Bereich können Invasoren wirklich gefährlich werden. Wenn der Waschbär auf einer bestimmten Fläche sämtliche Bodenbrüter wie Schnepfe und Kiebitz frisst, hat er die Art dort vernichtet. Aber damit ist das Raubtier noch keine Gefahr für die gesamte Population. Und sind Nutrias wirklich so problematisch, wenn sie nur eine begrenzte Anzahl an Deichen und Röhrichten kaputtmachen?

Der Mensch ist das Problem

Der Einfluss auf einzelne Arten kann gravierend sein, das allgemeine Artensterben hat aber andere Gründe. Oft besetzen invasive Spezies eine ökologische Nische, wenn die heimische Art zuvor schon durch den Menschen schwer beeinträchtigt wurde.

So konnte sich der Nerz erst dann in Europa ausbreiten, als die Population der Otter mangels Futter drastisch eingebrochen war. Soll man also jede neue Art erst einmal machen lassen und schauen, ob sie wirklich alle anderen Arten verdrängt? Und was dann?

In der Landwirtschaft, im Forst oder der Wasserversorgung kann man nicht einfach in Ruhe abwarten – da stört die Wildnis. Ihre Gefahren müssen rechtzeitig erkannt, eingeschätzt und abgewendet werden. Wenn sich eingewanderte Nager oder Heuschrecken ohne Fressfeinde über die Ernte hermachen, eine neue Käferart das Nutzholz im Wirtschaftswald durchlöchert, die Larven der Quagga-Muscheln in die Wasserleitungen schwimmen und die Förderanlagen verstopfen und der Knöterich das Treibgut festhält, dann wird das teuer.

Das wird teuer

Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung hat kürzlich eine ungeheure Summe genannt. In ihrer Studie zu weltweiten Folgeschäden durch invasive Arten kam sie auf Gesamtkosten von fast 1 Billion Euro seit 1960. Allein Wanderratte und Wildkaninchen sollen eine Ernte im Wert von insgesamt über 100 Milliarden Euro von den Feldern weggefressen haben. Sind solche Beträge nicht Grund zum Handeln?

Das Bundesumweltministerium findet: ja. Es hat nach einer entsprechenden EU-Verordnung 2015 einen Aktionsplan für den Umgang mit invasiven Arten entwickelt, überlässt aber den einzelnen Ländern das Management. Innerhalb der Länder sind die Interessen unterschiedlich verteilt und der Plan ist nicht immer klar. Denn die Landesregierungen arbeiten mit unvollständigen Listen – invasive Tiere und Pflanzen sind in Deutschland nur unzureichend erfasst. Über manche Arten weiß man, wie großflächig sie für Probleme sorgen, über andere nicht. Für manche Arten gibt es effektive Sofortmaßnahmen, für viele andere nicht.

So existieren neben einer Unionsliste, die die invasiven Arten für den gesamten EU-Raum umfasst, noch eine lokale Aktionsliste, eine Handlungsliste, eine Beobachtungsliste und eine Managementliste. Die kann man dann für jedes Bundesland herunterladen oder in seiner Kleingartenordnung nachlesen, konkrete Handlungsanweisungen gibt es kaum.

Die eine Gartenbesitzerin wütet dann eben halbherzig gegen die eigene invasive Wildnis an, der andere macht sich die Mühe nicht. Wer den Deich unverbuscht halten will, gräbt die Traubenkirsche aus. Wer den Buchsbaum mag, setzt dem Buchsbaumzünsler ein Ende. Und wem die Nase juckt, der reißt die Beifußambrosie aus. Denn, und auch das ist ein Faktor, die Eindringlinge können für allergische Reaktionen sorgen – und im schlimmsten Fall für Krankheit.

Der Mückenatlas

Im Büro bei Doreen Werner vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung in Müncheberg warten schon wieder Dutzende neue Umschläge. Jeden Tag ist die Postkiste voll. Ihr Inhalt sind tote Mücken. Jahrzehntelang hat sich die Forschung nicht für Mücken interessiert. Von ihnen ging keine Gefahr mehr aus, in Deutschland gab es seit den Fünfzigerjahren keinen einheimischen Malariafall mehr. Durch die invasiven Arten hat sich das mittlerweile geändert.

„Seit 2011 erfassen wir die Einsendungen in einem Mückenatlas“, erklärt Werner. Die HobbyjägerInnen sollen dazu Mücken mit einem Glas oder Becher einfangen, unversehrt im Gefrierfach ins Jenseits und anschließend zum Leibniz-Zentrum nach Müncheberg befördern. „Diese Daten sind unheimlich wertvoll für uns“, sagt Doreen Werner. „Ohne die Citizen Science hätten wir die nicht.“

Das Institut hat die Daten, Doreen Werner hat die Arbeit. Sie bestimmt die Stechmücken, Kriebelmücken und Gnitzen unter dem Mikroskop. „Mit bloßem Auge ist das unmöglich“, sagt sie. „Die Muster, die Punkte auf den Flügeln, die Größe, es gibt so viele Merkmale, die man genau unterscheiden muss.“ Niemand im Institut kennt die so genau wie Doreen Werner. Damit ist sie eine ständig gefragte Expertin, sowohl bei den KollegInnen als auch in den Medien. Und die wollen seit Jahren nur eines wissen: Wie gefährlich ist die Asiatische Tigermücke?

Penetranter Blutsauger

Die gestreifte Nervensäge ist nicht halb so groß wie unsere Hausmücke, aber doppelt so lästig. „Die heimischen Mücken fliegen schüchtern und summend an“, erklärt Doreen Werner. „Die Tigermücke hört man erst gar nicht. Sie verfolgt ihr Ziel penetrant.“ Die Biologin hat den Blutsauger im Visier, weil er etliche Viren übertragen kann, darunter das Dengue-, West-Nil- und Zika-Virus.

Spätestens seit dem Zika-Sommer 2016 seien die Leute verunsichert, sagt Doreen Werner. Die Tigermücke wird als genauso gefährlich angesehen wie damals der Pestfloh, und viele Menschen glauben, schon einmal von einer Tigermücke gestochen worden zu sein. Tatsächlich aber landen nur wenige echte Exemplare dieser Art unter dem Mikroskop der Expertin.

In fast allen Ländern Europas gilt die Tigermücke als etabliert. In Deutschland tritt sie regelmäßig auf. Nachdem seit 2007 über Jahre hinweg nur Einzelexemplare gefunden wurden, haben Doreen Werner und ihr Institut inzwischen auch größere Populationen nachgewiesen: in Bayern, Baden-Württemberg und Berlin.

Keine Panik

So geht Doreen Werner jedem Hinweis nach. Identifiziert sie eine Tigermücke, fährt sie zum Fundort und untersucht die Umgebung. Sie checkt die Lebendfallen, die das Institut zusätzlich aufhängt, und informiert die Behörden. Die nehmen dann Regenfässer und Vogeltränken, Eimer und Gießkannen unter die Lupe, um zu klären, ob es sich bei der Tigermücke nur um einen angeschwirrten Einzelfall handelt oder ob es bereits Larven gibt, die als nächste Generation ausschwärmen könnten. Die geschlüpften Mücken müssten dann das Blut einer an einem Tropenvirus erkrankten Person saugen und sich selbst infizieren, um das Virus übertragen zu können.

Noch ist der Moskito aus Asien aber nicht flächendeckend in Deutschland verbreitet. Auch hat es noch keine Ausbreitung von Denguefieber oder einer anderen Tropenkrankheit gegeben. „Vor drei Jahren hatten wir einmal einen Denguefall in einem Krankenhaus in Freiburg“, erzählt Werner. „Zur selben Zeit wurden wir über eine Tigermückenpopulation an einem Friedhof in der Nähe informiert.“ Der Patient wurde sofort verlegt, um Erreger und Mücke nicht zusammenzubringen. Schließlich muss sich auch eine Mücke erst einmal anstecken.

Bis dahin bleibt der Wirbel um die Tigermücke Panikmache. Trotzdem liegt es auf der Hand, dass sich die invasive Art ausbreitet – und mit ihr die Gefahr von Krankheiten. Der Klimawandel begünstigt dabei die Einwanderung oftmals.

Klimakatastrophe beschleunigt

Die Geschwindigkeit der Entdeckung neuer Arten ist weltweit rasant gestiegen. Tiere und Pflanzen fühlen sich plötzlich an Orten wohl, an denen es ihnen Jahre zuvor noch zu kalt, zu nass, zu trocken oder zu heiß gewesen wäre.

In Ostafrika gehen riesige Flächen an Weideland durch eine Mimosenart verloren. In Kalifornien explodiert der Schwarze Senf und verwandelt die Äcker in ein einziges Dickicht.

Fabian Sittaro hat die Entwicklung in Deutschland erforscht. In seiner Doktorarbeit an der Universität Leipzig verknüpft er Geografie und Biologie miteinander, um den Lebensraum von invasiven Pflanzen zu kartieren. Die Habitate wurden aus Satellitenbilden erfasst und auf klimatische Veränderungen in puncto Temperatur und Niederschlag untersucht. „Die Mehrzahl der invasiven Pflanzen werden durch den Klimawandel begünstigt“, resümiert der 34-Jährige im Videocall, eine unverwüstliche Schusterpalme grünt im Hintergrund.

Bessere Daten

Am stärksten profitierten die Pflanzen, die noch keinen großen Lebensraum für sich beanspruchen: das Kamtschatkaveilchen, der Blauglockenbaum. „Die kommen noch nicht häufig in freier Wildbahn vor, weil sie oft nicht so frosthart sind.“ Aber das müssen sie ja auch bald nicht mehr sein. Umgekehrt würden die bereits als invasiv bekannten Problempflanzen nicht viel problematischer. „Der Riesenbärenklau und das Drüsige Springkraut werden es in den nächsten fünfzig Jahren deutlich schlechter bei uns haben“, so Sittaro.

Seine Karten sollen bald auf einer Website veröffentlicht werden, um zu veranschaulichen, an welchen Orten welche Arten welche Effekte haben. „Wir müssen genau wissen: Wo ist das Habitat? Wie ist die Ausbreitung? Erst dann kann man rechtzeitig und effektiv eingreifen.“

Mit der Modellierung aus Satellitendaten, Fernerkundungsverfahren und maschinellem Lernen verschafft Sittaro den ganzen Listen und Plänen des Ministeriums überhaupt erst eine Grundlage. „Schwarz-Weiß-Denken und emotionale Befindlichkeiten helfen der Debatte nicht“, sagt der Forscher. „Daten aber schon.“

Platz für die Wildnis

Zwanzig Jahre lang war TU-Professor Ingo Kowarik Berlins Landesbeauftragter für Naturschutz. Heute weiß er: „Eine Bekämpfung ist theoretisch möglich, aber praktisch eine Riesenaufgabe“, sagt er. „Nun ist die Frage: Wohin lenke ich meine Energie? Ausschließlich auf die neuen Arten sicherlich nicht.“ Laut Kowariks Daten spielen bei der Gefährdung heimischer Pflanzen Neophyten eine gar nicht so große Rolle. Intensive Landnutzung und durch den Menschen zerstörte Lebensräume lösen Artensterben viel häufiger aus.

„Ich glaube, es lohnt nicht, eine Art an sich zu bekämpfen. Wenn wir versuchen, die biologische Vielfalt zu erhalten, muss das auch mit einer Aufgeschlossenheit für den Wandel der Natur vereinbar sein.“

Der Wildnis neuen Raum zu verschaffen, werde künftig umso wichtiger. Gemeint ist damit nicht nur eine nach unseren Vorstellungen intakte Natur. Götterbaum, Bärenklau und Knöterich haben gezeigt, dass sie sich auch auf stillgelegten Fabrikanlagen und Aschehalden wohlfühlen, auf vertrockneten Feldern, gerodeten Waldflächen und vergifteten Weiden, also an Orten Wurzeln schlagen können, die der industriellen Umweltzerstörung zum Opfer gefallen sind. Denn die Spezies, die für diese Welt den größten Schaden anrichtet, bleibt immer noch der Mensch.

Text und Bild: Philipp Brandstädter

Traue deinen Augen nicht

Traue deinen Augen nicht

Gleich lange Linien erscheinen unterschiedlich lang. Starre Muster beginnen sich zu bewegen. Optische Täuschungen spielen unseren Augen Streiche. Doch sie beweisen nicht, wie schlecht unsere Augen sind. Sondern vielmehr, wie schnell und trickreich unser Gehirn arbeitet.

Ein Riese und ein Zwerg stehen in einem Raum. So sieht das jedenfalls auf dem Bild aus. In Wahrheit sind Riese und Zwerg aber nahezu gleich groß. Eine so genannte optische Täuschung spielt uns hier einen Streich. Von diesen und anderen Täuschungen lassen sich Leute gleichermaßen verwirren wie faszinieren. Doch wie entstehen optische Täuschungen überhaupt?

Die Welt, in der wir leben, nehmen wir mit fünf Sinnen wahr. Wir tasten, riechen, schmecken, hören – und sehen. Unsere Augen sehen eine begrenzte Bandbreite an Farben, Helligkeiten, Kontrasten und Größen. Außerdem sind die Augen dafür gebaut, eher Bewegungen als Unbewegliches wahrzunehmen. Was es um uns herum zu sehen gibt und was wir tatsächlich sehen, sind zwei unterschiedliche Dinge. Beim Wahrnehmen trennen wir wichtige Infos von unwichtigen. Dafür zuständig ist unser Gehirn.

Das Hirn lernt

„Welche Informationen für uns wichtig sind, lernt das Gehirn nach und nach“, erklärt der Fachmann Michael Bach. „Es verarbeitet neue Eindrücke und vergleicht sie mit Erfahrungen, die wir bereits gemacht haben.“ So müssen wir uns etwa nicht lange wundern, wenn wir ein sehr heißes, rötlich loderndes, knisterndes Etwas bemerken. Wir wissen sofort: Feuer! Und können zur Not blitzschnell handeln.

Diese Bewertungen erledigt unser Gehirn meist sehr zuverlässig. So wissen wir, dass etwa ein Haus, das in unserem Auge klein erscheint, nicht tatsächlich klein sein muss. Es kann auch einfach weiter entfernt sein. „Durch diese Leistung unseres Gehirns können wir überhaupt erst räumlich sehen“, sagt der Experte. Ohne dass wir uns über die wichtigen Unterschiede überhaupt Gedanken machen müssten.

Ab und an jedoch sehen wir Dinge, die nicht mit unserer erfahrenen Wirklichkeit übereinstimmen. Mal spiegeln sich Dinge ungewohnt, mal verwirrt uns ein bestimmter Blickwinkel. Plötzlich verändern Dinge ihre Größe, Farbe und Form. Oder bewegen sich scheinbar, obwohl sie das nicht sollten. Dann spricht man von optischen Täuschungen.

Alles total schief

So wie bei dem Raum mit dem Riesen und dem Zwerg. Dort sind nicht etwa die beiden Gestalten ungewöhnlich. Stattdessen ist es der vermeintlich normale Raum. Der Boden, die Wände, die Decke – alles ist total schief und verzerrt! Nur aus einem bestimmten Blickwinkel sieht man den Raum wie gewohnt rechtwinklig. Tatsächlich ist die eine Zimmerecke aber an der einen Stelle weiter von uns entfernt als die andere. Und somit ist der Zwerg nicht etwa klein, sondern einfach nur weiter weg. Der Riese hingegen steht näher dran am Betrachter. Und erscheint dadurch größer.

„Eine optische Täuschung zeigt uns nicht, dass uns unsere Augen betrügen“, sagt Michael Bach. „Sie zeigt uns vielmehr, wie trickreich unser Sehsinn mit unserem Gehirn verbunden ist. Auf diese Weise finden wir uns möglichst schnell in der Welt zurecht.“

Der blinde Fleck

Übrigens: Manchmal muss das Gehirn schummeln, damit wir uns in unserer Welt zurecht finden. In unserem Sichtfeld gibt es zum Beispiel eine Stelle, die unser Auge niemals sehen kann: den blinden Fleck.

Das ist die Stelle in unserem Auge, in dem unser Sehnerv aus dem Augapfel in Richtung Gehirn führt. Diese Stelle hat keine Sinneszellen, mit denen wir optische Eindrücke verarbeiten können. An diesem kleinen Fleck sind unsere Augen blind. Eigentlich müssten wir also je Auge eine Stelle im Sichtfeld wahrnehmen, die wir nicht sehen können.

Doch sind unsere Augen gesund, dann gleicht unser Gehirn diesen blinden Fleck aus. Wir bemerken ihn gar nicht. Dass es den Fleck trotzdem gibt, kannst du aber beweisen: Male mit Filzstift zwei Punkte mit etwa zwölf Zentimetern Abstand. Die Punkte können etwa so groß sein wie ein Kästchen im Matheheft.

Halte nun das linke Auge zu und schaue mit dem rechten Auge auf den linken Punkt. Dann halte das Papier etwa eine Armlänge von dir entfernt. Gehst du nun etwas dichter an das Papier heran, so verschwindet der rechte Punkt plötzlich! Dann hat dieser Punkt den Bereich des Sichtfelds erreicht, den wir durch den blinden Fleck eigentlich gar nicht sehen.

Text: Philipp Brandstädter,
zunächst erschienen über dpa Nachrichten für Kinder, September 2018

Quellen:

Optische Täuschungen

Optische Täuschungen

Die Fotosynthese macht alles grün

Die Fotosynthese macht alles grün

Alles grün! Alle Pflanzen zeigen sich nun in ihrer vollen Pracht. Das machen sie, weil sie Energie zum Leben brauchen. Mit dem grünen Farbstoff in ihren Blättern erzeugen sie Zucker mit Hilfe von Sonnenlicht. Man spricht von Fotosynthese.

Viele Leute freuen sich auf den Frühling. Denn dann scheint die Sonne wieder länger und es wird wärmer. Außerdem kann man überall beobachten, wie den Bäumen neue grüne Blätter wachsen und auch andere Pflanzen grüner werden. Das geschieht, weil die Pflanzen wieder verstärkt Fotosynthese betreiben. So wird ein wichtiger biochemischer Vorgang genannt. Wahrscheinlich der wichtigste überhaupt.

Das Wort Fotosynthese leitet sich aus drei griechischen Worten ab. Phos heißt Licht, syn heißt zusammen und thesis heißt setzen. Die Pflanzen setzen also etwas aus Licht zusammen: und zwar energiereichen Zucker. Wie das genau funktioniert, erklärt die Botanikerin Gesche Hohlstein vom Botanischen Garten in Berlin. „Pflanzen saugen mit ihren Wurzeln Wasser und Mineralien aus dem Boden.“ Mineralien sind chemische Bausteine, die die Pflanzen brauchen. „Die leiten sie durch ihre Zweige und Triebe bis in ihre Blätter hinein.“

Durch Licht zu Zucker

Durch winzige Öffnungen in den Blättern gelangt außerdem das Gas Kohlenstoffdioxid aus der Luft in die Pflanze. Wir kennen das Gas auch als CO2. Und nun kommt die grüne Farbe ins Spiel. „Das Blattgrün ist ein echter Superstoff namens Chlorophyll“, erklärt die Fachfrau. Der steckt in den kleinsten Bausteinen der Pflanzen drin, den Zellen. „Das Chlorophyll kann Sonnenlicht aufnehmen. Durch die Energie des Lichts bauen die Pflanzen das CO2 und das Wasser in Traubenzucker um.“

Den Zucker nutzen die Pflanzen als Nahrung. „Das ist das Grandiose an Pflanzen: Sie basteln sich ihre eigene Nahrung“, sagt Gesche Hohlstein und ergänzt im Scherz: „Ich muss dazu Geld verdienen und Essen im Supermarkt kaufen oder Gemüse im Garten anbauen. Aber selbst herstellen kann ich meine Nahrung nicht.“

Sauerstoff für alle

Der durch die Fotosynthese hergestellte Zucker wird dann von den Blättern in alle Teile der Pflanze befördert. So kann die Pflanze leben und wachsen. Doch das ist noch nicht alles. Die Fotosynthese macht die Beziehung zwischen Pflanzen und den Tieren und Menschen aus. Der Grund: Während die Pflanzen ihren Zucker herstellen, geben sie Sauerstoff an die Umwelt ab. Und den brauchen wir Menschen und die Tiere zum Atmen. Außerdem hätten wir ohne Pflanzen nichts zu essen.

Wenn es dunkel ist, können Pflanzen keine Fotosynthese betreiben. Auch im Winter ist es schwieriger, wenn das Wasser gefroren ist und die Sonne nur noch wenig scheint. Dann zehren die Pflanzen von ihren Zucker-Reserven und brauchen selbst Sauerstoff. Doch da auf der Erde immer irgendwo die Sonne scheint, stellen auch immer irgendwo Pflanzen frischen Sauerstoff her. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir unsere Pflanzenwelt überall auf der Erde schützen. „Fotosynthese ist die Formel hinter dem Wunder des Lebens“, sagt Gesche Hohlstein. „Ohne sie würde es das Leben nicht in der Form geben, wie wir es kennen.“

Nicht nur grün

Wenn sich im Herbst die Blätter färben, kann man sehen: Da stecken viele Farbstoffe drin. Manche Stoffe helfen, das Sonnenlicht einzufangen. Andere schützen das Chlorophyll bei ihrer Arbeit. Zum Beispiel vor den UV-Strahlen der Sonne.

Im Frühling und Sommer überdeckt das grüne Chlorophyll alle anderen Farbstoffe. Im Herbst bauen die laubwerfenden Bäume das Chlorophyll ab. Dann werden die anderen Farbstoffe in den Blättern sichtbar. Die Blätter werden gelb bis rot. Und wir können uns im Herbst über die tolle Laubfärbung freuen.

Und im Winter?

Viele Bäume werfen im Herbst ihre Blätter ab. Sie bereiten sich auf den Winter vor und verringern dazu ihre Oberfläche. Bei eisigen Temperaturen bekommen die Bäume kein flüssiges Wasser mehr. Sie würden nicht nur verdursten, sondern können auch keine Fotosynthese betreiben. Bei Frost würde das Wasser zudem in den Zellen gefrieren, sich ausdehnen – und die Pflanzen kaputt machen. So überstehen sie den den Winter besser ohne Blätter.

Aber es gibt auch viele Bäume, die ihre Blätter behalten. Viele Nadelbäume zum Beispiel tun das. Man sagt: Sie sind immergrün.

Immergrüne Pflanzen haben kräftige Schutzwände um ihre Blätter. Durch sie kann das Wasser schwer entweichen und bleibt der Pflanze erhalten. Immergrüne Pflanzen lagern auch zuckerhaltige Stoffe in ihren Zellen ein. Die dienen als eine Art Frostschutzmittel. Denn Zuckerwasser gefriert nicht so schnell. Somit können die Zellen bei Frost nicht kaputt gehen.

Text und Bild: Philipp Brandstädter,
zunächst erschienen über dpa Nachrichten für Kinder, Februar 2021

Quellen:

Fotosynthese

Nabu über Herbstfärbung

Nadelwälder

Gut geschützt im Ei

Gut geschützt im Ei

Im Gegensatz zu den meisten Säugetieren legen Vögel, Reptilien und Fische Eier. In denen wachsen gut versorgt die Embryos heran, bis sie schlüpfen. Diese Art der Fortpflanzung hat viele Vorteile.

Das Ei ist ein Zeichen für das Leben und den Beginn. Kein Wunder, schließlich schlüpfen fast alle Tiere aus Eiern – von den meisten Säugetieren natürlich abgesehen. Vögel, Reptilien, Amphibien, Fische und Insekten legen Eier. Fachleute sagen auch: Sie sind ovipar. Die Oviparie ist seit vielen Millionen Jahren bewährte Art der Fortpflanzung im Tierreich.

Eier legen hat viele Vorteile. Denn im Ei kann der Nachwuchs geschützt und außerhalb der Mutter heranreifen. „Dadurch kann die Anzahl an Nachkommen erhöht werden“, erklärt der Biologe Markus Klamt. „Denn Weibchen können mehr Eier legen als Platz für Jungtiere in ihrer Leibeshöhle wäre.“ Vogelweibchen können darüber hinaus schnell wieder fliegen, sagt der Experte weiter. „Trächtig wären sie dafür zu schwer.“ Und: sollte das Weibchen gefressen werden, kann ihr Nachwuchs im Ei womöglich überleben.

Eier brauchen Wärme

Viele Tiere müssen sich aber auch nach dem Legen um ihre Eier kümmern. Denn der Nachwuchs braucht meist Wärme, um zu wachsen. Die meisten Vögel setzen sich deshalb auf ihr Gelege, oft in einem Nest, und brüten ihre Eier aus. Viele Reptilien hingegen machen das anders. Krokodile und Schildkröten etwa verbuddeln ihre Eier im warmen Sand. Die Sonne brütet die Eier aus.

Im Ei stecken alle Nährstoffe, die ein Embryo zum entwickeln braucht. „Zuerst bilden sich Blutgefäße, die aus dem Dotter und dem Eiklar versorgt werden“, sagt Markus Klamt. Die Gefäße werden immer dichter und bilden nach und nach einen Körper. Organe und Gliedmaßen entstehen. Das Wunder des Lebens hat längst seinen Lauf genommen.

Piepsen im Ei

„Bei Hühnereiern kann man schon nach zwölf Tagen einen kleinen Vogel erkennen“, so der Experte weiter. „Auch die Federn entwickeln sich bereits.“ Ein Hühnerküken schlüpft nach 21 Tagen. Sie haben schon im Ei die Laute ihrer Mutter wahrgenommen. Wenige Stunden vor dem Schlupf piepsen sie selbst im Ei. „Die Küken nehmen durch die Schale hindurch Kontakt mit ihren Geschwistern auf“, erklärt Markus Klamt. „Sie sprechen sich sozusagen ab, damit alle gleichzeitig schlüpfen.“ Dadurch kann die Henne später alle Küken gemeinsam unter ihre Fittiche nehmen und sie wärmen und schützen.

Doch vorher muss es jedes Küken erst einmal aus dem Ei schaffen. Und das ist harte Arbeit. „Das Küken hebt den Kopf und drückt ein Loch in die Schale“, sagt der Experte. Dazu hat das Jungtier einen so genannten Eizahn an der Spitze seines Schnabels. Das Küken drückt und stemmt sich gegen die Schale. So wird das Loch größer und größer, bis das Ei schließlich entzwei bricht. Das Jungtier ist geschlüpft!

Wie ein Ei entsteht

Und wie entsteht ein Ei überhaupt? Viele Tiere legen Eier, doch die Entstehung läuft meist ähnlich ab. Zunächst erzeugt das Weibchen ein Ei. Dabei reifen Kugeln aus Dotter im Eierstock heran, das Eigelb. In ihm stecken die wichtigen Nähr- und Schutzstoffe für den Nachwuchs. In der Dotterkugel schwimmt die Eizelle. Wurde sie befruchtet, kann aus ihr neues Leben wachsen.

Die Dotterkugel löst sich aus dem Eierstock und wird Schicht um Schicht von Eiklar eingehüllt. Darin sind weitere Stoffe und Wasser enthalten. Um das Eiklar herum wächst schließlich eine Schalenhaut und schließlich eine Schale. Sie schützt den Embryo vor Stößen und sorgt dafür, dass nicht zu viel Feuchtigkeit entweicht. Die Schalen von Vogeleiern bestehen unter anderem aus hartem Kalk. Viele Reptilien hingegen legen Eier mit einer ledrigen Schale.

Kein Küken im Frühstücksei

Im Eidotter und Eiklar stecken Nährstoffe, die das Jungtier zum Heranwachsen braucht. Wegen dieser Nährstoffe essen auch wir gern Eier. Zum Glück ist in unserem Frühstücksei aber nie ein Küken drin. Doch warum ist das eigentlich so?

Hühner sind regelrechte Eierfabriken. Sie legen auch Eier, wenn sie nicht zuvor von einem Hahn befruchtet worden sind. Das heißt: In den meisten Hühnereiern steckt gar keine Eizelle, die sich zu neuem Leben entwickeln könnte. Und selbst, wenn ein Ei befruchtet wäre, müsste es immer noch bebrütet werden, damit ein Küken heranwächst. Daraus wird in der Eierschachtel im Supermarkt oder im Kühlschrank nichts.

Eine Henne legt aller paar Tage ein Ei. Für ihre Eier gezüchtete Legehennen legen fast täglich eins. Weil Hühner die Vögel sind, die besonders fleißig Eier legen, essen wir vorwiegend Hühnereier. Manche Leute essen auch die etwas größeren Eier von Gänsen oder die kleinen gescheckten Eier von Wachteln.

Text und Bild: Philipp Brandstädter,
zunächst erschienen über dpa Nachrichten für Kinder, April 2022

Quellen:

Rund ums Ei

Eierschale

Bus Olli fährt ganz allein

Bus Olli fährt ganz allein

Ob Auto, Lkw, Bus oder Zug: Noch werden so ziemlich alle Fahrzeuge von Menschen gesteuert. Doch das wird wahrscheinlich nicht ewig so bleiben. Das könnte mehr Sicherheit auf der Straße bringen.

Eine paar Leute stehen an einer Bushaltestelle und warten. Dann fährt ein Bus vor. Er hält an, die Türen öffnen sich, die Leute steigen ein, die Türen gehen zu, der Bus fährt los. Alles total normal. Wenn der Bus von einem Busfahrer gesteuert würde.

Doch das Fahrzeug, in den die Menschen eingestiegen sind, fährt von ganz allein. Im Innenraum sind weder Pedale noch ein Lenkrad zu sehen. Zielsicher und nahezu lautlos rollt der kleine Bus die Straße entlang. Er bremst bei Hindernissen – und fährt weiter, wenn der Weg frei ist. Gestatten: Olli, der selbst fahrende Minibus.

Brotdose auf Rädern

Olli wird von einem Elektro-Motor angetrieben. Auf seinem Dach und nahe seiner Räder ist er mit Sensoren ausgestattet. Durch sie erkennt das Fahrzeug seine Umgebung. Mit seinen abgerundeten Kanten und den kleinen runden Lichtern sieht Olli richtig freundlich aus. Und ein bisschen wie eine zu groß geratene Brotdose auf Rädern. Doch ist so ein Bus ohne Fahrer auch sicher?

Andreas Knie grinst breit. „Olli wird sicherer fahren als ein Mensch das kann“, sagt der Mann zuversichtlich. Andreas Knie ist Mobilitäts-Forscher. Er kennt sich mit der Technik aus, die irgendwann einmal alle Fahrzeuge von selbst fahren lassen soll. „Olli besitzt einen schlauen Bordcomputer. Damit merkt er sich Strecken und Verkehrsregeln, erkennt Fahrbahn-Markierungen und Hindernisse. Wenn irgendetwas nicht stimmt, bleibt der Bus sofort stehen.“

Ein Computer hat es nicht eilig, wird nicht müde und lässt sich auch nicht von einer Nachricht auf dem Handy ablenken. Durch seine Sensoren kann ein selbst fahrendes Fahrzeug in alle Richtungen gleichzeitig gucken. Und sehr viel schneller als ein Mensch reagieren, wenn einmal Gefahr droht. Trotzdem fühlt es sich noch etwas merkwürdig an, in einem Fahrzeug zu sitzen, das wie von Geisterhand gesteuert wird. Aber daran werden sich die Leute wohl gewöhnen.

Mehr Ollis auf die Straßen

Denn in Zukunft soll es immer mehr selbst fahrende Ollis geben. Solche Busse könnten die Straßen nicht nur sicherer machen. Sie würden auch die Umwelt schonen. Wenn mehr Leute Bus fahren anstatt selbst ein Auto zu steuern, würden zudem weniger Fahrzeuge unterwegs sein. Und darüber hinaus kann Olli, was ein Busfahrer unterwegs nicht darf: sich mit den Fahrgästen unterhalten.

Noch ist die Technik im selbst fahrenden Bus neu und hat immer wieder kleine Probleme. „Mal schließen die Türen nicht richtig, mal werden seine Sensoren gestört“, sagt Andreas Knie. „Mal weiß Olli nicht, wie er ein Hindernis umfahren soll. Der Computer muss noch lernen.“ Bis überall selbst fahrende Busse auf den Straßen unterwegs sind, wird es also noch ein wenig dauern.

Kann ein Auto entscheiden?

Manche Autos können alleine einparken. Andere halten von selbst die Fahrspur oder bremsen im Notfall automatisch. Ganz und gar selbst und ohne Fahrer unterwegs sein kann und darf jedoch noch kein Auto. Doch die meisten Auto-Hersteller arbeiten an solchen Fahrzeugen.

Sie statten ihre Wagen mit Sensoren und Computern aus. So sollen sie den Menschen am Lenkrad ablösen. „Die Technik ist schon weit fortgeschritten“, sagt Andreas Knie. „Doch die Computer an Bord sind noch nicht klug genug, um Entscheidungen abzuwägen.“

Wird ein selbst fahrendes Auto eine rote Ampel überfahren, um den Weg für ein Feuerwehrauto frei zu machen? Und in welche Richtung soll es ausweichen, wenn plötzlich ein Kind auf die Straße springt? Solche Entscheidungen muss immer noch ein menschlicher Fahrer treffen.

Text und Bilder: Philipp Brandstädter,
zunächst erschienen über dpa Nachrichten für Kinder, Februar 2016